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Wirtschaftswunder
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neue Wirtschaftsordnung stand in den Anfangsjahren der Bundesrepublik mehrfach auf dem Prüfstand.

Konsolidierung 1949-1952

Der außergewöhnliche Aufschwung in den fünfziger Jahren verband sich aus der Sicht der Zeitgenossen dennoch von Anfang an mit dem Programm der Sozialen Marktwirtschaft. Obgleich von seinen ”geistigen Vätern” und Anhängern als Gegenentwurf zur planwirtschaftlichen Praxis der unmittelbaren Nachkriegszeit verstanden, lassen sich seine Ursprünge bis in die frühen dreißiger Jahre zurückverfolgen. Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise waren einige Nationalökonomen zu dem Schluss gekommen, dass der Staat lenkend in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen müsse, um Zusammenbrüche dieser Art künftig zu vermeiden; allerdings sollten diese Eingriffe marktkonform sein, die freie Preisbildung als regulierendes Prinzip anerkennen und einen fairen Wettbewerb sichern helfen. An diese Überlegungen knüpften die Reformer des Jahres 1948 an: ”Nicht die freie Marktwirtschaft des liberalistischen Freibeutertums einer vergangenen Ära, auch nicht das ,freie Spiel der Kräfte‘ und dergleichen Phrasen, […] sondern die sozial verpflichtete Marktwirtschaft, die das einzelne Individuum wieder zur Geltung kommen lässt, die den Wert der Persönlichkeit obenan stellt und der Leistung dann aber auch den verdienten Ertrag zugute kommen lässt, das ist die Marktwirtschaft moderner Prägung” - so umriss Erhard auf einem Parteikongress der CDU am 28. August 1948 sein Konzept.

Die von ihm geweckten Hoffnungen erfüllten sich jedoch zunächst nur teilweise: Das durch die Währungsreform stimulierte Wirtschaftswachstum verlangsamte sich bald wieder, während die Preise und insbesondere die Arbeitslosigkeit bedrohlich stiegen. Zwar kam diese Entwicklung keineswegs völlig unerwartet, aber Tempo und Ausmaß überraschten die Experten dennoch. Der Anstieg der Preise gerade von Konsumgütern resultierte nämlich nicht nur aus höheren Produktionskosten; vielmehr reagierten Hersteller und Einzelhandel auf den enormen Nachfrageüberhang unverzüglich mit Preiserhöhungen. Obwohl neben den laufenden Einkommen auch grosse Teile der auf das neue Geld umgestellten Ersparnisse für Gebrauchsgüter ausgegeben wurden, konnte die Masse der Arbeitnehmer, deren Löhne und Gehälter zunächst eingefroren blieben, mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten, während ein kleiner, dafür um so zahlungskräftigerer Personenkreis die Preise noch zusätzlich in die Höhe trieb.

Die steigenden Lebenshaltungskosten und die wachsende Kluft zwischen Durchschnitts- und Spitzeneinkommen ließen Zweifel und Kritik an der neuen Wirtschaftsordnung aufkommen, die

in der Bizone Mitte November 1948 in einen eintägigen Generalstreik mündeten. Unterdessen war der noch aus der Zeit des Dritten Reiches stammende Lohnstopp aufgehoben worden, und im Dezember begannen die Preise nicht zuletzt dank einer die Geldmenge und die Kreditmöglichkeiten einschränkenden Politik der Bank Deutscher Länder, der Vorgängerin der heutigen Deutschen Bundesbank, zu sinken. Während die Gefahr einer Inflation damit abgewehrt war, wuchs die Zahl der Arbeitslosen unaufhörlich weiter.

Krisensymptome

Zwischen Juni und Dezember 1948 waren bereits 370000 Arbeitsplätze verlorengegangen, aber gleichzeitig 600000 neue in expandierenden Branchen entstanden; die Arbeitslosenquote betrug knapp über fünf Prozent. 1949 kehrte sich das Verhältnis mit einem Verlust von insgesamt 150000 Stellen um: Damit stieg die Arbeitslosenquote bei einer Beschäftigungszahl von etwa 13,5 Millionen auf über zehn Prozent Ende des Jahres und 12,2 Prozent im März 1950. Dass es für diesen Anstieg auf zwei Millionen Erwerbslose plausible Erklärungen gab - eine durch den ineffizienten Einsatz von Arbeitskräften verdeckte Arbeitslosigkeit zum Zeitpunkt der Währungsreform, einen starken Zustrom von Flüchtlingen und Heimat-
vertriebenen, einen unflexiblen Arbeitsmarkt - machte die Sorgen der Bundesregierung und der Alliierten Hohen Kommission nicht kleiner.

Vor allem die Amerikaner, die verständlicherweise ihre Marshallplangelder nicht vergeudet sehen wollten, riefen nach beschäftigungsfördernden Gegenmaßnahmen. Ihre Unruhe wuchs noch, als die wirtschaftliche Stabilisierung im Gefolge des Korea-Krieges durch Engpässe bei der Kohleversorgung und ein wachsendes Zahlungsbilanzdefizit zusätzlich bedroht wurde. Um dieser Gefahr entgegenzutreten, forderten sie, ausnahmsweise im Einklang mit der sozialdemokratischen Opposition, eine wirtschaftspolitische Kurskorrektur: die Rückkehr zu staatlicher Bewirtschaftung und Lenkung, Preiskontrollen und einen Prioritätenkatalog für ”lebenswichtige” Importe, also eine ”bedeutsame Modifizierung der Sozialen Marktwirtschaft”, wie der amerikanische Hohe Kommissar im Frühjahr 1951 dem Bundeskanzler schrieb. Auf Drängen Adenauers gab Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard diesem Druck nach - allerdings in eher bescheidenem Umfang.

Zu den strategisch wichtigen Rohstoffen zählte damals noch die Kohle, unverzichtbar für die Energiegewinnung ebenso wie für die Stahlerzeugung und in der Bundesrepublik in großen Mengen vorhanden. Die Lenkung des Kohleverbrauchs überließ der Bundeswirt-
schaftsminister mangels geeigneter staatlicher Instrumente und aus

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