Zum ersten Mal fand damit der staatlich verordnete Antisemitismus Eingang in ein Gesetz; freilich noch in abgeschwächter Form, da nach Intervention des Reichspräsidenten jüdische Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs ausgenommen blieben. Der schönfärberische Titel des Gesetzes sollte, wie in vielen anderen Fällen auch, über die furchtbaren Konsequen- zen hinwegtäuschen. Darüber hinaus wollte man mit dem Vorgehen gegen sogenannte Parteibuchbeamte, und damit waren republika- nische Beamte gemeint, die traditionelle Beamtenschaft in ihrem "überparteilichen" ständischen Selbstverständnis ansprechen und zur Mitarbeit im "nationalen Staat" gewinnen. Mit zahlreichen weiteren Gesetzen versuchten die Nationalsozialisten, Juden aus ihren Berufen zu verdrängen, wo immer es staatliche Einflussmöglichkeiten gab. Bis zum April 1934 hatten einige hundert jüdische Hochschullehrer, etwa 4000 jüdische Rechts- anwälte, 300 Ärzte, 2000 Beamte und ebenso viele Schauspieler und Musiker ihre Arbeits- plätze verloren. Nur in der Wirtschaft blieb den deutschen Juden noch für einige Zeit Freiraum. Dort wurden sie gebraucht. Die jüdische Gegenwehr war auf Hilfe für die Verfolgten und auf behutsame Versuche beschränkt, wenigstens eine gewisse Autonomie jüdischen Lebens unter dem Regime zu bewahren. Das war nicht viel und nur auf Zeit möglich. Nach einem Jahr nationalsozialistischer Herrschaft hatten rund 37000 jüdische Flüchtlinge Deutschland verlassen, obwohl die Politik der jüdischen Verbände auf Bleiben und nur im Ernstfall auf Emigration ausgerichtet war. Die meisten Juden blieben in Deutschland zurück, weil sie von einem allmählichen Abklingen der Ausgrenzungs- und Verfolgungsmaßnahmen ausgingen, für die es immerhin einige sehr schwache Anzeichen gab. Die gehörten in den Zusammenhang der allgemeinen Konsolidierungs- und Mäßigungspolitik, die das Regime seit dem Sommer 1933 betrieb, um die in einem atemberaubenden Prozess eroberten Machtpositionen in Staat und Gesellschaft erst einmal zu sichern und die konservativen Eliten, die für die Stabilisierung des Regimes unverzichtbar waren, zu beruhigen. Auch wenn nach einem halben Jahr Hitler und die NSDAP sich auf der ganzen Linie durchgesetzt zu haben schienen und tatsächlich die Fundamen- te des Verfassungsstaates zerstört waren, so wurden die Grenzen der Macht deutlicher. Sie
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lagen einerseits in der nach wie vor bestehen- den Autonomie einiger gesellschaftlicher Macht- und Funktionsträger in Armee, Wirt- schaft und Bürokratie, auf die das Regime angewiesen war. Andererseits wurden die Grenzen der Macht in der prekären außenpolit- ischen Situation deutlich, auf die später eingegangen werden soll. Zum Dritten waren sie gemessen an den Erwartungen und Ansprüchen einiger Parteigliederungen und ihrer Führer offenkundig, wozu vor allem Röhm und die SA, aber auch der verhinderte Außenpolitiker Rosenberg oder antikapitalisti- sche Propagandisten wie Feder zählten. Alle diejenigen Unterführer, die die nationalsozialistische Revolution weitertreiben wollten, mussten sich seit dem Juli 1933 von dem politischen Taktiker Hitler sagen lassen, dass nun die Revolution abgeschlossen sei und der "freigewordene Strom der Revolution in das sichere Bett der Evolution" hinübergeleitet werden müsse. Die Revolution dürfe kein Dauerzustand werden, vielmehr stünde man nun "in der langsamen Vollendung des totalen Staates". Das wesentliche Ziel der kommenden Phase soll darum lauten: "Der Erringung der äußeren Macht muss die innere Erziehung der Menschen folgen." Innenminister Frick zog daraus die Konsequenz, dass nun die staatliche Autorität und Zentralgewalt wieder gestärkt werden müsse. "Die Partei ist jetzt der Staat geworden. Alle Macht liegt bei der Reichsregierung." Frick traf damit jedoch nicht das Wesen nationalsozialistischer Herrschafts- politik. Denn der ging es gerade nicht um eine feste Strukturierung, sondern sie war nur zur Festschreibung des unbestimmten und staatsrechtlich unklaren Verfassungszustandes fähig und willens. Damit aber wurde der Prozess unendlicher Dynamik gefördert, indem verschiedene nationalsozialistische Machtgruppen die Gesellschaft durchdrangen und ihr nationalsozialistische Zielvorstellungen aufzwangen. Dies führte am Ende zu einem System eines "wohlgeordneten Chaos", aber nicht zum Bremsen der Dynamik des nationalsozialistischen Regimes. Gerade das macht den Unterschied zu einer bloß autoritären Diktatur aus, die sich auf die Kontrolle von Staat, politischer Öffentlichkeit, Verwaltung und Polizei konzentriert, den übrigen gesellschaftlichen Bereich aber nicht zu durchdringen versucht.
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