das Konzept der Zähmung, das von konservativen Machtgruppen seit 1930 vertreten wurde. Danach sollten die vorgeblich "positiven" Elemente der NSDAP an das konservative Establishment gebunden werden. Das war auch der Grundgedanke, der hinter der Machtübertragung an Hitler stand und der weiterhin für die politischen Verbündeten Hitlers galt. Formierung der Diktatur Kaum etwas deutete am Morgen des 30. Januar 1933 darauf hin, daß mit der Er- nennung Hitlers zum Kanzler des Deutsch- en Reiches und der Vereidigung der neuen Regierung tatsächlich ein neues Kapitel in der deutschen Geschichte aufgeschlagen wurde. Vizekanzler Franz von Papen war zufrieden mit seinem politischen Geschick und vertraute auf die Macht des Reichspräsidenten. "Was wollen Sie denn? Ich habe das Vertrauen Hindenburgs", antwortete er auf die skeptische Frage eines konservativen Kritikers. Auch Reichspräsident Hindenburg war zufrieden, sah er doch im neuen Kabinett vor allem vertraute Gesichter, den Reichsaußenminister Konstantin von Neurath, Reichsfinanzminister Lutz von Schwerin von Krosigk und Reichsjustizminister Franz Gürtner. Als der eigentliche starke Mann im neuen Kabinett galt fast allen Beobachtern der neue "Wirtschaftsdiktator", der Partei- führer der DNVP Alfred Hugenberg, der Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium gleichzeitig übernahm und kommissarisch auch für die entsprechenden preußischen Ministerien verantwortlich war. Um das Konzept der Ein- rahmung zu vervollständigen, wurde der Führer des "Stahlhelms" Franz Seldte zum Reichsarbeitsminister ernannt. Zudem war vor dem übrigen Kabinett bereits der künftige Reichswehrminister Generalleutnant Werner von Blomberg vereidigt worden, um die Sonderstellung der Reichswehr zu unter- streichen. Als weitere Bastion gegen die Nationalsozialisten wurde Vizekanzler von Papen zum kommissarischen preußischen Ministerpräsidenten ernannt. Unterschätzung der NSDAP Die wenigen Nationalsozialisten schienen tatsächlich von Repräsentanten der alten Machtgruppen eingerahmt zu sein: Neben dem neuen Reichskanzler Adolf Hitler saßen lediglich Wilhelm Frick als Reichsinnenmini- ster und Hermann Göring als Minister ohne Geschäftsbereich und kommissarischer preußischer Innenminister im Kabinett. Hinzu kam, dass keines der Kabinettsmitglieder der NSDAP über eine größere Regierungs- und Verwaltungserfahrung oder über eine längere parlamentarische Erfahrung verfügte, wenn man von der kurzen Amtszeit Görings als
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Reichstagspräsident (seit den Juliwahlen 1932) einmal absah. Hitler hatte zuvor den Reichstag nie betreten, und seine Unterführer hatten die Parlamente in Reich und Ländern nur als Bühne für ihr agitatorisches Auftreten benutzt. Waren sich die Mehrheit der politischen Verbündeten und auch der Gegner darum einig, dass die Nationalsozialisten im für sie ungewohnten Regierungsgeschäft bald politisch abwirtschaften würden, so sollte sich bald das Gegenteil herausstellen. Im April 1933 berichtete der französische Botschafter André François-Ponçet nach Paris: "Als am 30. Januar das Kabinett Hitler/Papen an die Macht kam, versicherte man, dass in der Regierung die Deutschnationalen [...] Hitler und seinen Mitkämpfern Paroli bieten würden, dass die Nationalsozialisten mit der Feindschaft der Arbeiterklasse zu rechnen haben und dass schließlich die Katholiken der Zentrumspartei die Legalität verteidigen würden. Sechs Wochen später muss man feststellen, dass all diese Dämme, die die Flut der Hitler-Bewegung zurückhalten sollten, von der ersten Welle hinweggespült wurden." Dass die Dämme nicht hielten, hatte viele Gründe: Sicherlich war einer davon die Dynamik der nationalsozialistischen Bewegung, die nun endlich ihre Chance zur Abrechnung mit dem politischen Gegner, zu Aufstieg und Macht gekommen sah. Auch die propagandistischen Verführungskünste der Nationalsozialisten zusammen mit den nationalen Erlösungs- und Veränderungs- erwartungen des Publikums spielten eine Rolle. Ebenso entscheidend war auch die Schwäche der Dämme in Politik, Verwaltung und Gesellschaft selbst, die äußerlich zwar nach wie vor mächtig wirkten, innerlich schon längst unterminiert waren und an Selbstvertrauen verloren hatten. Die Fackelzüge und Demonstrationsmärsche, die in Berlin von den Braunhemden der NSDAP und kleineren Stahlhelm-Gruppen zur Reichskanzlei und zum Reichspräsidentenpalais geführt und in vielen Städten und Dörfern imitiert wurden, sollten im Selbstverständnis der Nationalsozialisten Ausdruck der "nationalen Erhebung" sein.
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