einen Polizeistaat herbeizuführen. Eine neue Welle von terroristischen Brand- und Sprengstoffanschlägen erreichte in den Morden des Jahres 1977 einen Gipfelpunkt an Brutalität. Dem Mordanschlag auf den Generalbundesanwalt Siegfried Buback auf offener Straße in Karlsruhe am 7. April 1977 fielen auch zwei seiner Begleiter zum Opfer. Dem Mord an dem Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, am 30. Juli 1977 folgte die Entführung des Arbeitgeber- präsidenten Hanns-Martin Schleyer am 5. September 1977, dessen vier Begleiter bei dem Überfall in Köln erschossen wurden. Auch jetzt wieder wollten die Entführer die Freilassung von elf Häftlingen erpressen. Der große Krisenstab, dem unter Leitung des Bundeskanzlers auch Oppositionsvertreter angehörten, suchte Schleyers Leben zu retten, ohne der Forderung der Terroristen nachgeben zu müssen. Die seit langem bekannten internationalen Verflechtungen des Terrorismus wurden erneut deutlich, als am 13. Oktober 1977 palästinensische Luftpiraten eine Lufthansamaschine mit 91 Insassen entführten und die Freilassung der elf deutschen und zweier türkischer Häftlinge forderten. Am 18. Oktober stürmte das Sonderkommando GSG 9 des Bundesgrenz- schutzes das Flugzeug auf dem Flughafen von Mogadischu (Somalia) und befreite die Geiseln. Wenige Stunden später wurden die in Stuttgart-Stammheim inhaftierten RAF-Anführer Baader, Ensslin und Raspe in ihren Zellen tot aufgefunden. Das Untersuchungsergebnis lautete: Selbstmord durch Pistolenschüsse. Nicht geklärt werden konnte, wie die Waffen in die Zellen gelangt waren. Einen Tag später fand man die Leiche des ermordeten Arbeitgeber- präsidenten Schleyer im Elsass. Auch nach zahlreichen Festnahmen und Verurteilungen war die terroristische Bedrohung nicht gebannt, wie etwa die Mordanschläge der RAF auf den Siemens-Manager Karl-Heinz Beckurts und seinen Fahrer sowie auf Gerold von Braunmühl, einen der höchsten Beamten des Auswärtigen Amtes, 1986 deutlich machten. Der am 30. November 1989 auf Alfred Herrhausen, den Vorstandssprecher der Deutschen Bank und wohl einflussreichsten deutschen Wirtschaftsmanager, verübte Mordanschlag zeigte nach Aussage der Bundesanwaltschaft, dass die RAF nach wie vor über eine funktionierende Organisation und Logistik verfügte. Nach der Wende in der DDR wurde der lang gehegte Verdacht bestätigt, dass einige RAF-Terroristen dort Zuflucht gefunden hatten. Nach Hinweisen von Bürgern und Stasi-Mitarbeitern konnten 1990 u.a. die RAF-Aussteiger Susanne Albrecht in Ost-Berlin, Inge Viett in Magdeburg, Monika Helbing und Eckehard Freiherr von Seckendorff-Gudent in Frankfurt (Oder) verhaftet werden. Sie hatten
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in der DDR ein unauffälliges Leben geführt. Das Ministerium für Staatssicherheit war ihnen bei der Einbürgerung, Eingliederung, Wohnungs- und Arbeitssuche behilflich gewesen.Stammheimer Prozesse gegen RAF-Mitglieder »Stammheim« wurde in der Geschichte der Bundesrepublik zum Synonym für die strafrechtliche Auseinandersetzung mit dem Terrorismus der »Rote-Armee-Fraktion« (RAF), obwohl Terroristenprozesse auch an anderen Orten stattfanden. Auf dem Gelände der Strafanstalt in Stuttgart-Stammheim war eigens ein mit aufwendigen Sicherheitsein- richtungen ausgestattetes Gerichtsgebäude errichtet worden. Hier begann am 21. Mai 1975 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart der Prozess gegen die ersten Anführer der RAF, Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe. Gericht und Bundesanwaltschaft sahen sich vor die Aufgabe gestellt, mit den Mitteln des Strafrechts die kriminellen Taten von Angeklagten zu ahnden, die für sich den Status von Kriegsgefangenen und die Anwendung des Kriegsrechts reklamierten. Im Verlauf des Verfahrens stellte die Verteidigung zahlreiche Befangenheitsanträge, nach dem 85. Antrag wurde im Januar 1977 der Vorsitzende Richter von der Prozessführung entbunden; es kam zu einem zeitweiligen Prozessboykott vonseiten der Verteidiger sowie zu Hungerstreiks der Angeklagten. Die Justiz griff andererseits zu rechtsstaatlich bedenklichen Maßnahmen wie der Entpflichtung sämtlicher Wahlverteidiger bis auf einen, Fortsetzung des Verfahrens in Abwesenheit der Angeklagten und Abhören der Gespräche zwischen Anwälten und Ange- klagten. Die Urteile wurden am 25. April 1977 verkündet. Baader, Raspe und Gudrun Ensslin erhielten lebenslängliche Haftstrafen wegen vollendeten bzw. versuchten Mordes in mehreren Fällen sowie wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Ulrike Meinhof hatte im Mai 1976 Selbstmord verübt. Die Urteile erlangten indessen keine Rechtskraft, da die Verteidigung Revision einlegte, die mit dem Tod der Angeklagten im Oktober 1977 gegenstandslos wurde. In der Auseinander- setzung mit dem Terrorismus haben Erfahrungen aus dem Stammheimer Baader-Meinhof-Prozess zu einer Reihe von Änderungen im Strafprozessrecht geführt, die allgemein die Rechte von Angeklagten und Verteidigern einschränkten.
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