daher kaum noch über Autorität. Sie war weithin isoliert. Ihr Verhalten stieß nahezu überall auf Kritik, ja Verständnislosigkeit. Auch die zustimmende Reaktion Ostberlins auf die brutale Niederschlagung der Studenten- rebellion in Peking am 4. Juni 1989 rief weithin Empörung hervor. Während in der ganzen Welt heftig gegen das Massaker auf dem Tiananmen-Platz protestiert wurde, entschied das SED-Politbüro, dass man dem "hartgeprüften chinesischen Volk" zu Hilfe kommen müsse: Die Volkskammer verabschiedete eine Resolution, in der die DDR ihre Unterstützung für die Niederschlagung der "konterrevolutionären Unruhen" in der chinesischen Hauptstadt bekundete. DDR-Außenminister Oskar Fischer rühmte bei einem Besuch seines chinesischen Amtskollegen Qian Qichen in Ostberlin eine Woche nach den Ereignissen in Peking, die engen Bindungen zwischen der DDR und China. Und prominente DDR-Politiker starteten zu Solidaritäts-missionen in die chinesische Hauptstadt: Hans Modrow machte, noch im Juni, den Anfang, Egon Krenz folgte im September. Die damit signalisierte politische Hilfestellung für ein undemokratisches, totalitäres Regime war zwar ebenfalls kaum etwas Neues in der Geschichte der DDR. Aber in der sensiblen Situation des Sommers 1989 war es gewiss ein falsches Signal, das die SED-Führung der Situation unangemessener nicht hätte setzen können. Massenflucht und Proteste Vor diesem Hintergrund fassten immer mehr DDR-Bewohner den Entschluss, ihrem Land so schnell wie möglich den Rücken zu kehren. Allein 120000 stellten im Sommer 1989 einen Antrag auf Ausreise in die Bundesrepublik. Im Juli und August versuchten darüber hinaus Hunderte, die mit ihrer Geduld am Ende waren, ihre Ausreise durch die Besetzung westlicher - vor allem westdeutscher - diplo- matischer Vertretungen in Budapest, Warschau, Ostberlin und Prag zu erzwingen. Die Prager Botschaft der Bundesrepublik musste sogar binnen zwei Wochen wegen Überfüllung geschlossen werden. Am Rande einer UNO-Vollversammlung erreichte Bundes- außenminister Hans-Dietrich Genscher in Verhandlungen mit seinem DDR-Amtskollegen Oskar Fischer, dem es um eine Entschärfung der instabilen Lage im Vorfeld der Feiern zum 40. Jahrestag der DDR-Staatsgründung ging, die Ausreise aller Prager und Warschauer Flüchtlinge. Sie gelangten in Sonderzügen Anfang Oktober in die Bundesrepublik.
|
|
Egon Krenz, der SED-Generalsekretär Honecker zu dieser Zeit vertrat, weil der Parteichef sich einer Operation unterziehen musste, die ihn für den Rest des Sommers von seinen Amtsgeschäften fernhielt, wusste um die Motive, die die Ostdeutschen dazu brach- ten, die DDR zu verlassen. Ein enger Mitar- beiter, der Abteilungsleiter für Sicherheits- fragen im ZK der SED, Wolfgang Herger, war der Frage nachgegangen und hatte die Ergebnisse in einem vertraulichen Bericht für Krenz zusammengefasst. Vom "Verlust an Perspektive als Massenprotest" war darin die Rede, von "Resignation als Massenphänomen" sowie von einer alarmierend zunehmenden Rate der Abwendung von der DDR, besonders unter Jugendlichen, einschließlich den Funktio- nären der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Krenz erhielt den Bericht nur einen Tag vor Antritt eines vierwöchigen Urlaubs an der Ostsee, von wo aus er nichts mehr unterneh- men konnte. Honecker hatte Krenz offenbar bewusst in den Urlaub entlassen und statt dessen seinen Vertrauten, Politbüromitglied Günter Mittag, mit der Wahrnehmung der Amtsgeschäfte des Generalsekretärs beauftragt. Doch Mittag erwies sich bald als unfähig, der Lage gerecht zu werden. Der Flüchtlingsstrom, der sich aus der DDR über Ungarn und Österreich in die Bundes- republik ergoss, schwoll immer mehr an. Der "Eiserne Vorhang", der schon am 2. Mai durch Ungarn prinzipiell in Frage gestellt worden war, bestand praktisch nicht mehr. Täglich trafen nun zwischen 100 und 200 Ostdeutsche von Ungarn aus in den Aufnahmelagern in der Bundesrepublik ein. Und nachdem die ungari- sche Regierung es DDR-Bürgern ab dem 11.
|