Deutsche Geschichten
Wege zur Einheit
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Einerseits waren die darin enthaltenen Regelungen ein unvermeidliches Element der deutschen Einigung. Alternativen gab es nicht oder waren unrealistisch - wie etwa ein Fortbestehen der ostdeutschen Währung in einem wirtschaftlichen Sondergebiet auf dem Territorium der ehemaligen DDR. Andererseits sagten Ökonomen angesichts der "Schocktherapie", der die ostdeutsche Wirtschaft ausgesetzt wurde, den Zusammenbruch vieler ineffizienter Unternehmen voraus, die dem freien Wettbewerb nicht gewachsen waren. Die Zahl der Arbeitslosen in der DDR, die innerhalb eines Monats, vom März bis April 1990, bereits von 38313 auf 64948 gestiegen war, würde dadurch je nach Prognose bis Ende 1991 auf 500000 bis 2 Millionen anwachsen. Auch die Vorausschätzungen für die Summen, die benötigt wurden, um die Industrie und Infrastruktur der DDR westlichen Standards anzugleichen, schwankten stark. Sie variierten zwischen 500 Milliarden und 1,1 Billionen DM. Dabei wurden allein die Mehrausgaben für Sozialleistungen auf jährlich mindestens 10 Milliarden DM veranschlagt.

Wirtschaftlicher Niedergang

Nachdem die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion mit Wirkung vom 1. Juli 1990 eingeführt worden war, offenbarte die DDR-Ökonomie ihren Charakter als eine Wirtschaft, in der weder Grunddaten noch Statistiken stimmten. In der Honecker-Zeit hatte man systematisch die immer deutlicher hervortretende Misere kaschiert und bewusst das unrealistische Bild einer DDR ohne größere wirtschaftliche Probleme gezeichnet, während sich der ostdeutsche Staat tatsächlich auf den Bankrott zubewegte. Der SED-Generalsekretär hatte alle Alarmzeichen ignoriert, um weitermachen zu können wie bisher. Als sein Nachfolger Krenz im Herbst 1989 eine ungeschönte Bilanz der ökonomischen Lage des Landes ziehen ließ, erfuhr er, dass die DDR am Ende war. Diese Situation, die heute aus internen Dokumenten des SED-Staates klar hervorgeht, war 1990 den mit der Vereinigung befassten Politikern allerdings noch nicht bekannt. Das erklärt weithin die Illusionen, die man sich in Bonn zunächst noch machte.
Als Gütezeichen der DDR galten seit jeher Vollbeschäftigung, freie medizinische Versorgung und Niedrigstmieten. Genau diese Errungenschaften gehörten jedoch ebenso wie die staatlich festgesetzten Niedrigpreise für elementare Güter und Dienstleistungen des alltäglichen Bedarfs zu den entscheidenden Ursachen des ökonomischen Niedergangs der DDR: Honeckers Konzept der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" hatte die schwache Produktivität des Landes bei weitem überfordert. Die geringe Leistungsfähigkeit des sozialistischen Wirtschaftssystems aber war der ausschlaggebende Faktor, als Ostdeutschland mit der Wirtschafts- und Währungsunion im Juli 1990 dem freien internationalen Wettbewerb mit offenen Grenzen und Märkten ausgesetzt wurde.
Nun wurde die Tatsache, dass DDR-Unternehmen im Durchschnitt nur etwa ein Drittel der Produktivität ihrer westlichen Konkurrenten aufwiesen, kaum weltmarktfähige Güter produzierten, enorme Umweltschäden verursachten und gewaltige Schuldenberge aufgehäuft hatten, der ostdeutschen Wirtschaft zum Verhängnis. In Zahlen ausgedrückt: Nahezu alle Staatsbetriebe der DDR hatten mit riesigen Verlusten operiert, die allein im Jahre 1989 Staatssubventionen in Höhe von mehr als 120 Milliarden DDR-Mark erforderlich gemacht hatten. Da überdies die Investitionsquote in den siebziger und achtziger Jahren zur Finanzierung der Honeckerschen Konsum- und Sozialpolitik sowie zunehmend auch zur Begleichung der aus dieser Politik ebenfalls resultierenden Auslandsschulden drastisch reduziert worden war, waren ein völlig veralteter und vielfach kaum noch funktionsfähiger Maschinenpark sowie eine

desolate Infrastruktur die Folge. So waren 1989 etwa 29 Prozent der Industrieausrüstungen in der DDR zwischen 11 und 20 Jahre alt, 21 Prozent sogar mehr als 20 Jahre.
Die Öffnung der DDR-Wirtschaft zum Weltmarkt führte daher binnen kürzester Zeit zu ihrem völligen Zusammenbruch, zumal auch die Ostmärkte in dieser Zeit allgemeinen Wandels kollabierten. Die Talfahrt war bereits Ende 1989 deutlich zu spüren und entwickelte sich nach der Wirtschafts- und Währungsunion zum freien Fall: Obwohl 1990 auch 110000 neue Betriebe gegründet wurden, sank das Bruttosozialprodukt bis Ende 1990 um nicht weniger als 18,5 Prozent.

Treuhandanstalt

Um die Anpassung der ostdeutschen Wirtschaft an die neuen politischen und ökonomischen Bedingungen vorzunehmen, wurde im März 1990 - noch unter Ministerpräsident Hans Modrow - die Treuhandanstalt gegründet. Sie sah ihre Rolle allerdings zunächst als Sanierungsinstrument der staatlichen Industriepolitik in einer quasi-sozialistischen Gesellschaft. Erst nach der Volkskammerwahl vom 18. März erhielt die Privatisierung höhere Priorität. Die Anstalt wuchs nun rasch zu einer Großorganisation mit 3000 Mitarbeitern an, die teils in der Berliner Zentrale, teils in einem der 15 Regionalbüros tätig waren. Ihre Aufgabe war es, den umfangreichen staatlichen Grundbesitz und die darauf befindlichen Liegenschaften sowie 127 zentrale und 95 regionale Kombinate mit insgesamt 12993 industriellen Unternehmen zu privatisieren.
Das Ziel wurde in weniger als vier Jahren erreicht - allerdings zu einem sehr hohen Preis: Für jede DM, die von privater Seite für den Kauf eines ostdeutschen Unternehmens aufgewandt wurde, mussten drei DM von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden, um Altschulden abzutragen oder Umweltschäden zu beseitigen. Ohne diesen öffentlichen Beitrag hätte es kaum Interessenten für die meisten DDR-Unternehmen gegeben, da sich die Erwerbungen sonst in der Regel betriebswirtschaftlich nicht gerechnet hätten. Jeder Privatisierungserfolg vergrößerte daher zugleich das finanzielle Defizit der Treuhand. Experten im Bonner Finanzministerium errechneten bereits 1991 eine Gesamtschuld von annähernd 500 Milliarden DM, die von den deutschen Steuerzahlern für die Ablösung der DDR-Wirtschaft aufzubringen waren.

Transferzahlungen

Da sich die Privatwirtschaft überdies entgegen früheren Versprechungen auch in Anbetracht der ungelösten Eigentumsproblematik mit ihrem Engagement in Ostdeutschland zunächst zurückhielt und innerhalb des ersten Jahres nach Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion nicht einmal 13 Milliarden DM investierte, blieben für die öffentliche Hand in den neuen Bundesländern weithin die einkalkulierten Steuern aus, so dass die frühere Bundesrepublik erheblich höhere Beiträge für die Beitrittsgebiete aufwenden musste als ursprünglich geplant. So bedurfte es allein 1991 etwa 143 Milliarden DM Bruttotransferleistungen für Ostdeutschland, um Einkommen zu sichern, Unternehmen zu stützen und die Infrastruktur zu verbessern. 1992 waren es bereits 173 Milliarden, 1995 188 Milliarden und 2000 rund 200 Milliarden. Für die Zeit von 1991 bis 1999 ergab sich daraus insgesamt ein Betrag von 1,634 Billionen DM. Selbst unter Berücksichtigung der Rückflüsse betrug die Nettoleistung immer noch rund 1,2 Billionen. Die Summen waren derart hoch, dass die öffentliche Verschuldung in der Bundesrepublik sich von 1990 bis 1999 mehr als verdoppelte. Allein im Bundeshaushalt stieg deshalb die Zinsausgaben-Quote von 9 Prozent im Jahre 1990 auf etwa 17 Prozent 1999, so dass heute fast jede fünfte Steuermark für Zinsleistungen

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