berücksichtigen, dass ihr Geltungsbereich nicht auf das DDR-Territorium übertragen werde, solange dort noch sowjetische Truppen stationiert seien. Eine solche Entscheidung, so Gorbatschow, stelle beide Seiten zufrieden. Im übrigen werde das Abschlussdokument der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen die Aufhebung der Viermächteverantwortung für Deutschland ohne Übergangszeit feststellen. Es sei nur ein separater Vertrag über den Aufenthalt der sowjetischen Streitkräfte auf dem bisherigen DDR-Territorium für die Dauer von drei bis vier Jahren erforderlich. Einigung Damit waren die historischen Sätze gesprochen, die den Weg zur Wiedervereini-gung Deutschlands ebneten. Im Jagdhaus Gorbatschows im engen Flusstal des Selemtschuk im Kaukasus, oberhalb von Stawropol, herrschte danach eine gelöste Stimmung. Die Bilder gingen um die Welt: Gorbatschow kletterte eine steile Böschung zum kristallklaren Wasser des Flusses hinunter und streckte Kohl seine Hand entgegen, um ihn aufzufordern, ihm zu folgen - Deutsche und Russen versöhnlich vereint. Bei den formalen Verhandlungen, die am nächsten Morgen, dem 16. Juli, am Frühstückstisch des Jagdhauses begannen, bewies Gorbatschow eine "erfreuliche Konsequenz", wie Horst Teltschik in seinem Tagebuch notierte, und bestätigte das Entgegenkommen, das er schon am Vortag gegenüber dem Bundeskanzler bewiesen hatte. Die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen sollten mit einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag abgeschlossen werden. Das geeinte Deutschland würde die Bundesrepublik, die DDR und Berlin umfassen und Mitglied der NATO sein können. Bedingung war lediglich der Verzicht auf ABC-Waffen und die Nichtausdehnung der militärischen Strukturen der NATO auf das Gebiet der bisherigen DDR, solange dort noch sowjetische Truppen standen. Nachdem die Details der Vereinbarungen ausgehandelt waren, wobei man sich schließlich auch noch auf 370000 Mann als Obergrenze für die Truppenstärke der Bundeswehr einigte, waren alle wesentlichen Hindernisse ausgeräumt, die einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten noch im Wege gestanden hatten. Aus deutscher Sicht waren die Ergebnisse sensationell: Deutschland würde wiedervereinigt. Es würde vollständig souverän sein. Es konnte Mitglied der NATO bleiben. Deutsche Streitkräfte würden in ganz Deutschland stationiert sein. Und die Sicherheitsgarantien der Artikel 5 und 6 des Nordatlantischen Vertrages würden unverzüglich für ganz Deutschland gelten, sobald das Schlussdokument der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen in Kraft getreten war. Für die sowjetischen Partner waren der Verlauf und das Resultat der Gespräche im Kaukasus weniger erfreulich. Als Außenminister Schewardnadse in Mineralnie Wodi das Flugzeug nach Paris bestieg, wo am nächsten Tag eine weitere Runde der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen stattfinden sollte, sah er sich einem "hochnotpeinlichen Verhör" mitreisender sowjetischer Journalisten ausgesetzt, die wissen wollten, warum alle Fragen so blitzschnell gelöst worden seien. Schewardnadse bestritt, dass übereilt gehandelt worden sei. Wie er in seinen Memoiren berichtet, erklärte er dabei zu den Motiven für das Handeln der sowjetischen Führung: "Wir sind außerstande, Deutschlands Wiedervereinigung zu stoppen, es sei denn mit Gewalt. Doch das käme einer Katastrophe gleich. Wenn wir uns einer Beteiligung an diesem Prozess entziehen würden, so würden wir vieles einbüßen. Wir würden keine Grundlagen für das neue Verhältnis zu Deutschland schaffen und die gesamteuropäische Situation beeinträchtigen." Zu der Entscheidung, der Wiedervereinigung Deutschlands zu westlichen Bedingungen zuzustimmen, gab es für die Sowjetunion
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tatsächlich keine vernünftige Alternative. Nur eine erneute militärische Intervention wie am 17. Juni 1953 hätte den historischen Prozess der deutschen Vereinigung noch aufhalten können. Dazu aber war die sowjetische Führung um Gorbatschow und Schewardnadse nicht bereit. Im Interesse des Friedens in Europa und der Neuordnung der sowjetischen Beziehungen zum Westen - vor allem zur Bundesrepublik - wurde die DDR daher in die Wiedervereinigung entlassen. Dafür hoffte der Kreml auf eine großzügige Kooperation mit dem geeinten Deutschland, um die gewaltigen wirtschaftlichen und finanziellen Probleme der Sowjetunion zu lösen, die ohne westliche Hilfe nicht mehr beherrschbar schienen. Zwei-plus-Vier-Vertrag Der Abschluss der Zwei-plus-Vier-Verhandlungen war nach der Einigung im Kaukasus nur noch Formsache. Am 17. Juli fand in Paris die dritte Runde der Außenministergespräche mit zeitweiliger polnischer Beteiligung statt. Es wurde festgelegt, die polnische Forderung nach einer endgültigen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als polnischer Westgrenze in das Zwei-plus-Vier-Abschlussdokument aufzunehmen, das völkerrechtlich verbindlich sein würde. Danach handelten die Bundesrepublik und die Sowjetunion die bilateralen Verträge aus, die im Rahmen des Zwei-plus-Vier-Prozesses vereinbart worden waren. Dies betraf vor allem den sogenannten "Generalvertrag"; über eine umfassende Kooperation zwischen Deutschland und der Sowjetunion sowie den "Überleitungsvertrag" über die Stationierung sowjetischer Truppen auf dem bisherigen Territorium der DDR für weitere drei bis vier Jahre und ihre anschließende Rückführung in die UdSSR. Trilaterale Gespräche zusammen mit der DDR-Regierung bezogen sich auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit zwischen DDR-Unternehmen und sowjetischen Firmen. Ein großes Problem tauchte im August auf, als Außenminister Schewardnadse seinen deutschen Amtskollegen brieflich darüber informierte, dass ein sowjetischer Truppenabzug nicht innerhalb von drei bis vier Jahren, sondern frühestens in fünf bis sieben Jahren möglich sei. Der Abzug hänge "vom Umfang der deutschen materiellen und finanziellen Unterstützung" ab. Schewardnadses Brief folgte am 28. August ein Besuch des stellvertretenden sowjetischen Außenministers Juli Kwizinski im Kanzleramt, bei dem dieser forderte, die Bundesrepublik solle sowohl für die Transportkosten des Truppenabzuges als auch für den Bau neuer Unterkünfte für die zurückkehrenden Soldaten in der Sowjetunion aufkommen. Außerdem müsse Bonn den Aufenthalt der noch in der DDR verbleibenden Truppen bezahlen. Andernfalls, so Kwizinski, werde es in der sowjetischen Armee zum Aufruhr kommen. Botschafter Wladislaw Terechow präzisierte am 5. September die sowjetischen Vorstellungen. Die finanziellen Forderungen beliefen sich demnach auf 3,5 Milliarden DM Stationierungskosten für die Zeit von 1990 bis 1994, 3 Milliarden DM Transportkosten, 11,5 Milliarden DM für den Bau von 72000 Wohnungen einschließlich der notwendigen Infrastruktur mit Kindergärten, Läden, Apotheken usw., 500 Millionen DM für ein Programm zur Weiterbildung und Erziehung sowie bis zu 17,5 Milliarden DM für die Rückgabe der sowjetischen Immobilien in der DDR. Bundeskanzler Kohl, der mit Außenminister Genscher, Finanzminister Waigel und Wirtschaftsminister Haussmann übereingekommen war, auch in diesem Falle Entgegenkommen zu zeigen, bot Gorbatschow in einem Telefongespräch am 7. September einen Gesamtbetrag von 8 Milliarden DM an. Doch Gorbatschow beharrte auf einer weit höheren Summe. Allein für den Wohnungsbau müsse man 11 Milliarden DM veranschlagen. Dazu kämen noch die Transport- und Aufenthaltskosten. Der sowjetische Generalsekretär schilderte die
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