Deutsche Geschichten
Wege zur Einheit
Wege zur Einheit
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Wahlkampf

Die Stärke des DA, der DSU und der Ost-CDU war schwer zu beurteilen. Da die konservativen Kräfte gespalten waren, befürchtete die West-CDU bei der bevor-stehenden Volkskammerwahl einen Erdrutschsieg der SPD. Nicht zuletzt aus diesem Grunde ließ sich Kohl trotz erheblicher Bedenken bewegen, zu dieser persönlichen Begegnung mit de Maizière zusammenzukommen, um Möglichkeiten für ein konservatives Wahlbündnis zu erörtern. Kohl, Seiters und der Generalsekretär der West-CDU, Volker Rühe, trafen danach am 5. Februar de Maizière, Schnur und Ebeling, um eine "Allianz für Deutschland" zwischen CDU, DA und DSU zu gründen, die im folgenden Wahlkampf geeint antrat.
Die westdeutschen Liberalen warteten ebenfalls sehr lange, bis zum 12. Februar, ehe sie sich entschlossen, eine ostdeutsche Koalition - die "Allianz der Freien Demokraten" - zu unterstützen, während die Grünen einer ganzen Reihe von Umweltgruppen und Linksparteien zu Hilfe kamen, darunter der Grünen Liga, der Grünen Partei in der DDR und der Vereinigten Linken. Die extreme Rechte der Bundesrepublik wurde indessen durch einen Beschluss der Volkskammer von einem Engagement in der DDR abgehalten: Die Republikaner wurden verboten, ihr Gründer, Franz Schönhuber, wurde an der Einreise gehindert.
Die Spitzen der westdeutschen Politik, die kurz zuvor noch jegliche Einflussnahme in der DDR von sich gewiesen hatten, übernahmen nun de facto die Verantwortung für die Entwicklung in Ostdeutschland. Insgesamt 7,5 Millionen DM wurden von den Westparteien für den Wahlkampf in der DDR aufgewandt. Davon entfielen nicht weniger als 4,5 Millionen DM auf CDU und CSU, während SPD und FDP sich mit jeweils etwa 1,5 Millionen DM begnügten.
Bei der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 konnten sich 12,2 Millionen Wahlberechtigte in der DDR zwischen 19 Parteien und fünf Listenverbindungen, die weitere 14 Parteien repräsentierten, entscheiden. Meinungsumfragen zufolge lag die SPD in der Wählergunst Anfang Februar noch mit 54 Prozent der Stimmen weit in Führung, gefolgt von der PDS mit 12 Prozent und der CDU mit 11 Prozent. Doch nachdem Bundeskanzler Kohl am 6. Februar - einen Tag nach Gründung der "Allianz für Deutschland" - die baldige Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion angekündigt hatte, während der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel am 15. Februar im Deutschen Bundestag gegen einen solchen Schritt aufgetreten war, wandelte sich die Stimmung grundlegend: Als der Kanzler wenig später zu seinem ersten Wahlkampfauftritt in der DDR erschien, erwarteten ihn auf dem Platz vor der gotischen Kathedrale in Erfurt mehr als 100000 Menschen - in einer Stadt von immerhin nicht mehr als 220000 Einwohnern. Bei folgenden Auftritten in Cottbus und Leipzig, wo er den 1:1 Währungsumtausch versprach, war es nicht anders. In Leipzig gingen sogar 300000 auf die Straße, um Kohl zu begrüßen.
Der Erfolg gab dem Bundeskanzler recht: Am 18. März stimmten 48,1 Prozent für die Parteien der Allianz für Deutschland, nur 21,8 Prozent für die SPD, 16,3 Prozent für die PDS und 5,3 Prozent für die Allianz Freier Demokraten. Das Bündnis 90 - die Vereinigung von Neuem Forum, Demokratie Jetzt und der Initiative für Frieden und Menschenrechte - musste sich mit nur 2,9 Prozent der Stimmen begnügen. Das Ergebnis war ein unüberhörbarer Ruf nach rascher Wiedervereinigung und Marktwirtschaft sowie eine klare Zurückweisung jeglicher Form des Sozialismus. Davon wurden auch die Sozialdemokraten negativ betroffen, die die drängenden Wiedervereinigungserwartungen vieler Ostdeutscher enttäuscht hatten.
Dieser Wahlausgang bedeutete zugleich das Ende der DDR. In den ersten freien Wahlen, die hier überhaupt jemals stattgefunden hatten, votierten die Bürgerinnen und Bürger

mehrheitlich gegen den Staat, der ihnen von einer kommunistischen Minderheit mit sowjetischer Rückendeckung aufgezwungen worden war und zu dessen Abwahl ihnen zuvor niemals Gelegenheit gegeben worden war. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das die Menschen in der DDR nun erstmals mit dem Stimmzettel hatten ausüben können, nachdem sie zuvor nur die Chance gehabt hatten, einen Ausreiseantrag zu stellen und damit eine "Abstimmung mit den Füßen" zu praktizieren, beschleunigte entscheidend den Wiedervereinigungsprozess. Ihm vermochten sich nun weder die Regierungen in Ostberlin und Bonn noch die Vier Mächte, die seit 1945 Verantwortung für Deutschland als Ganzes trugen, länger zu widersetzen.

Verhandlungen mit den Vier Mächten

Während die ökonomischen und innenpolitischen Aspekte der Wiedervereinigung im wesentlichen von den Deutschen im Alleingang entschieden werden konnten, bedurfte es zur Bewältigung der außenpolitischen Fragen eines Verhandlungsrahmens, der nicht nur die beiden deutschen Staaten, sondern auch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs einschloss. Der Grund dafür lag zum einen in deren Vorbehaltsrechten, die ihren Ursprung in der "Übernahme der obersten Regierungsgewalt hinsichtlich Deutschlands" gemäß der Erklärung der Siegermächte vom 5. Juni 1945 hatten und wegen des fehlenden Friedensvertrages nie vollständig aufgehoben worden waren. In den Pariser Verträgen zwischen der Bundesrepublik und den Westmächten vom 23. Oktober 1954 war dementsprechend ausdrücklich auf die "Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte in Bezug auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung" hingewiesen worden.

Zum anderen ergab sich die Notwendigkeit einer Beteiligung der Vier Mächte aus der politischen Entwicklung nach 1989. Denn unter den nunmehr gegebenen Bedingungen bedeutete eine deutsche Wiedervereinigung weit mehr als die bloße Zusammenführung der beiden deutschen Teilstaaten. Die gesamte europäische Ordnung stand jetzt zur Disposition. Da die DDR den Eckpfeiler der sowjetischen Herrschaft in Osteuropa bildete und der Verlust der DDR für die UdSSR nach den vorangegangenen Ereignissen in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei voraussichtlich ebenfalls zum Verlust des sowjetischen Einflusses in diesen Ländern führen würde, drohte der Zusammenbruch des gesamten sowjetischen Imperiums in Europa. Aber auch Frankreich und Großbritannien betrachteten die sich abzeichnende Neuordnung in der Mitte Europas mit historisch begründeter Skepsis. Und selbst die USA konnten nicht abseits stehen, wenn das System der Bipolarität, dessen Ausgestaltung sie - wie eingangs dargestellt - seit Beginn des Ost-West-Konflikts nach 1945 maßgeblich bestimmt hatten, einer neuen Architektur wich.

Uneinigkeit der Westmächte

Die Unsicherheit und Besorgnis der Nachbarn über die Perspektive einer Wiedervereinigung Deutschlands wurde bereits unmittelbar nach der Maueröffnung deutlich, als der französische Präsident François Mitterrand am 14. November 1989 ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der zwölf Länder der Europäischen Gemeinschaft forderte, um "die jüngsten Entwicklungen in Europa zu diskutieren" und "eine gewisse Kontrolle über die Veränderungen zu gewinnen". Nach der Vorlage des Zehn-Punkte-Plans von Bundeskanzler Kohl am 28. November teilte Mitterrand einer Gruppe französischer Journalisten mit, er halte eine deutsche Wiedervereinigung für eine "rechtliche und politische Unmöglichkeit".

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