Nach dem Krieg wurde der Reichstag renoviert, war aber nicht mehr Ort großer politischer Veranstaltungen. Die konstituierende Sitzung des ersten gesamtdeutschen Bundestages am 20. Dezember 1990 markierte die Rückkehr des Parlamentarismus in den Reichstag. 1991 beschloss der Bundestag, seinen Sitz nach Berlin zu verlegen. Der Reichstag wurde das Zentrum des neuen Regierungsbezirks. Seit 1999 tagt nun das Parlament als zentrales Organ der Demokratie wieder im Reichtagsgebäude. Er sollte der "bedeutendste und dem Range nach hervorragendste Monumentalbau des deutschen Volkes" werden, so beschrieb die Deutsche Bauzeitung die Forderung der Parlamentsabgeordneten Anfang der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts nach einem repräsentativen Gebäude. Am 9. Juni 1884 wurde der Grundstein für den Reichstag gelegt. Die Umsetzung erfolgte nach den Plänen von Paul Wallot (1841 - 1912), der den zweiten Wettbewerb der Architekten gewonnen hatte. 39 Jahre tagte das Parlament dann im Reichstag - bis zum Brand am 27. Februar 1933. Zwischen 1961 und 1972 baute man das Gebäude nach Plänen von Paul Baumgarten wieder auf. Nach der deutschen Vereinigung wurde 1992 ein neuer Wettbewerb ausgelobt: Der Ältestenrat entschied sich für den Entwurf von Sir Norman Foster. Dieser ließ vom alten Reichstag nur noch die Außenwände stehen und gab ihm ein neues Innenleben. Entstanden ist ein modernes Parlament in historischem Gewand.) Wolfgang Thierse im Interview Frage: Herr Thierse, das Reichstagsgebäude war immer ein politisches Symbol. Lange Zeit war es auch ein sehr zwiespältiges Symbol. Wie kam es dazu?
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Thierse: Das Reichstagsgebäude ist eines der großen Symbole deutscher Geschichte. Widersprüche und Missdeutungen sind da einbezogen. Oft ist das Reichstagsgebäude zum Symbol des Nazireichs erkoren worden. Das war es aber nie. Hitler hat nie an einer Reichstagsdebatte hier im Hause teilgenommen. Das Ermächtigungsgesetz (es gab Hitler im März 1933 diktatorische Vollmachten, d. Red.) wurde in der Krolloper angenommen. Später hat die Rote Armee die rote Fahne auf dem Reichstagsgebäude gehisst, gewissermaßen als symbolische Überwindung des Nazireichs. Doch das Reichstagsgebäude war nicht das Machtzentrum der Nazis, es war Ort des deutschen Parlamentarismus mit all seinen Widersprüchen, Siegen und Niederlagen. Frage: Heute ist das Reichstagsgebäude sehr populär. Hier kommen Millionen von Menschen hin. Wirkt sich das auch förderlich auf die Popularität der demokratischen Institutionen aus? Thierse: Ich freue mich darüber, dass das Reichstagsgebäude so populär ist. Es ist die Besucherattraktion in Berlin schlechthin. Ich wünsche mir, dass ein wenig von der Attraktivität des Gebäudes auch auf die Institution namens Bundestag abstrahlt. Es nehmen ja auch viele Menschen an Bundestagsdebatten teil. Das ist, glaube ich, für die Popularität der parlamentarischen Demokratie, für die Sympathie, mit der die Bürger unserer Arbeit begegnen, sehr günstig. Frage: Noch ein kleiner Blick in die Geschichte: Es gab ja damals, als 1991 die Entscheidung über den Umzug des Bundestages und der Bundesregierung nach Berlin getroffen wurde, ein sehr knappes Ergebnis. Welche Bedeutung hat es, dass der Bundestag ins Reichstagsgebäude einzog? Thierse: Die Entscheidung zwischen Berlin und Bonn war tatsächlich knapp. Und sehr emotional bewegt. Es hat dann acht Jahre gedauert, bis Parlament und Regierung beginnen konnten, in Berlin zu arbeiten. Die Verlagerung des Schwergewichts der Politik aus dem Westen Deutschlands in den Osten war gut und notwendig, weil hier der schwierigere, problematischere Teil des Landes ist, weil hier noch so viele Aufgaben vor uns stehen und nicht zuletzt auch, weil die wirtschaftlichen Schwergewichte nach wie vor anderswo sind. Frage: Damals gab es Befürchtungen, mit dem Umzug nach Berlin könnten falsche Zeichen gesetzt werden, ein neues Machtstreben für Berlin wäre der Zweck. Waren solche Befürchtungen angemessen?
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