leiter der NSDAP und Chef der "Deutschen Arbeitsfront" Robert Ley, hatte sich durch Selbstmord dem Gericht entzogen, gegen einen anderen, den Leiter der Partei-Kanzlei Martin Bormann, wurde in Abwesenheit verhandelt, ein dritter, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, war verhandlungsunfähig. Kriegsverbrecher Prozesse Angeklagt war die Führungselite des NS-Regimes - soweit greifbar - im "Hauptkriegs- verbrecherprozess", darunter der ehemalige "Reichsmarschall" Hermann Göring, Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, Außenminister Joachim von Ribbentrop, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, der Herausgeber des antisemitischen Hetzblatts "Der Stürmer" Julius Streicher, der Großadmiral und Hitlernachfolger Karl Dönitz, der Reichsinnenminister Wilhelm Frick, Rüstungsminister Albert Speer, Generaloberst Alfred Jodl und weniger bedeu- tende wie der Abteilungsleiter im Reichs- propagandaministerium Hans Fritzsche, Hitlers "Steigbügelhalter" Franz von Papen, Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht. Die drei Letztgenannten wurden freigesprochen, was heftige Kritik in der Öffentlichkeit erregte. Verhältnismäßig glimpflich davon kamen unter anderem Dönitz (10 Jahre Gefängnis), der "Reichsjugendführer" Baldur von Schirach und Hitlers Leibarchitekt und Rüstungsminister Speer (20 Jahre Gefängnis). Rudolf Heß musste seine lebenslange Haft als einziger ganz verbüßen. Alle anderen Angeklagten wurden zum Tode durch den Strang verurteilt. Das Urteil wurde im Morgengrauen des 16. Oktober 1946 vollstreckt. Hermann Göring jedoch hatte sich am Vorabend seiner Hinrichtung auf ungeklärte Weise Gift verschafft und Selbstmord begangen. Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess fand weltweit große Publizität. Den Deutschen war seitens der Besatzungsmächte höchste Aufmerksamkeit befohlen worden, die durch ausführliche Berichterstattung im Rundfunk und in der Presse gewährleistet werden sollte. Aber das Interesse ließ sich nicht auf Dauer erzwingen, und die Überzeugung, dass in Nürnberg ein neues Kapitel Völkerrecht ge-
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schrieben werde, war nicht allgemein ver- breitet. In der französischen Zone erschien 1946 eine Aufklärungsschrift mit dem Titel "Der Nürnberger Lehrprozess", in der die Ethik des Nürnberger Tribunals verteidigt wurde. Verfasser war unter einem Pseudonym der Schriftsteller Alfred Döblin, der - aus dem Exil zurückgekehrt - bei der französischen Militärregierung Dienst tat. Er schrieb, der Nürnberger Prozess müsse als Zukunfts- hoffnung begriffen werden. Es gehe bei der Wiederaufrichtung des Rechts in Nürnberg um die Wiederherstellung der Menschheit: "Man baute einen juristischen Wolkenkratzer, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Das Fundament aber, auf dem er errichtet wurde, der Beton, war der solideste Stoff, der sich auf Erden finden ließ: Moral und die Vernunft." Nürnberger Nachfolgeverfahren Die Absicht, dem Verfahren vor dem Inter- nationalen Gerichtshof in Nürnberg weitere Prozesse unter gemeinsamer Gerichts- hoheit der Alliierten folgen zu lassen, ließ sich im beginnenden Kalten Krieg nicht mehr rea- lisieren. In allen vier Besatzungszonen (und in den von deutscher Okkupation befreiten Nationen wie Polen, den Niederlanden, Italien)fanden deshalb in der Folgezeit einzelne Prozesse statt, bei denen nationalsozialistische Verbrechen von Militärgerichtshöfen der Besatzungsmächte untersucht und verurteilt wurden. Am meisten Aufsehen erregten die zwölf Verfahren, die die Amerikaner in Nürnberg unmittelbar im Anschluss an das Hauptkriegsverbrecher-Tribunal führten. Diese zwölf "Nachfolge-Prozesse" dauerten bis Mitte 1949. Sie boten einen Querschnitt durch zwölf Jahre nationalsozialistischer Politik, Diplomatie und Wirtschaft: Im Ärzteprozess ging es um "Euthanasie" und Menschenversuche, im Milch-Prozess (benannt nach dem Generalinspekteur der Luftwaffe Erhard Milch) um die Kriegs- rüstung, im Flick-Prozess (nach Friedrich Flick, einem der prominentesten Großunternehmer im NS-Staat) um Zwangsarbeit und Raub aus- ländischen Eigentums, im Südost-Generäle-Prozess standen Geiselerschießungen auf dem Balkan zur Debatte, im Fall acht-Verfahren waren Mitarbeiter des "Rasse- und Siedlungs- hauptamts der SS" wegen der Ermordung von Juden und Polen angeklagt, im Wilhelmstras- senprozess standen Diplomaten und andere Funktionäre vor Gericht, im Einsatzgruppen-Prozess waren die Mordaktionen an Juden in den besetzten Ostgebieten Gegenstand der Anklage. Es ist zwar nicht gelungen, mit diesen Verfahren der Gerechtigkeit zum dauernden Sieg zu verhelfen, und die Nürnberger Grundsätze wurden nicht neues Völkerrecht. Aber es war auch nicht das Tribunal der Rache der Sieger gegen die Besiegten. Die Verbrechen waren so einzigartig, so eindeutig gegen die Menschheit insgesamt begangen,
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