konnten. Das galt wiederum für die Berlin-Problematik. Hier war die vor dem Mauerbau von der DDR und der Sowjetunion gemeinsam erhobene Forderung nach einer entmilitarisier- ten "freien Stadt" durch die Formel ersetzt worden, dass West-Berlin als "selbständige politische Einheit" zu "betrachten" (und nicht zu "behandeln"!) sei. Da nach Artikel 9 die Rechte und Pflichten der Sowjetunion aus dem Potsdamer Abkommen für Deutschland als Ganzes nicht berührt wurden, stellte der Vertrag auch den Viermächtestatus von Berlin nicht ausdrücklich in Frage. Und wenn in Artikel 2 und 10 vom "Abschluss" eines deutschen Friedensvertrages die Rede war, so konnte das als endgültiger Verzicht auf einen Separatfrieden zwischen der DDR und der Sowjetunion gedeutet werden. Die DDR-Führung zeigte im Herbst 1964 eine gewisse Bereitschaft, der Bundesrepublik in Fragen menschlicher Erleichterungen entgegen- zukommen, ohne auf der völkerrechtlichen Anerkennung zu bestehen. Am 24. September 1964 wurde ein weiteres Passierscheinabkom- men mit dem Berliner Senat abgeschlossen, das für die DDR insofern von Interesse war, als es die Drei-Staaten-Theorie und die Behauptung von der "selbständigen politischen Einheit" West-Berlin zu stützen schien. Am 9. September 1964 wurde allen im Rentenalter stehenden Bürgerinnen und Bürgern der DDR erlaubt, jährlich eine Besuchsreise von bis zu vier Wochen zu Verwandten in die Bundesre- publik und nach West-Berlin zu unternehmen. Ihr erster Ausbruch aus der weltpolitischen Isolierung gelang der DDR-Außenpolitik Anfang 1965: Ägyptens Staatspräsident Gamal Abd el Nasser lud Walter Ulbricht zu einem Staatsbesuch ein. Auch wenn dieser Besuch, der international großes Aufsehen erregte (vgl. auch Seite 8), noch nicht die Anerkennung der DDR durch Ägypten oder andere arabische Staaten zur Folge hatte, so förderte er doch das Ansehen des zweiten deutschen Staates gerade unter den Entwicklungsländern, zumal sich die DDR dort in verstärktem Maße als Vorkämpferin gegen "Neokolonialismus und Imperialismus" zu profilieren verstand. Auf dem Weg zur Anerkennung Im Herbst 1965 gelang der DDR der zweite Durchbruch auf dem Weg zur internationalen Anerkennung. Diesmal erwies sich der Sport als Mittel der Politik. An den Olympischen Spielen in Tokio hatte 1964 noch eine gesamtdeutsche Mann- schaft teilgenommen. Am 8. Oktober 1965 entschied das Internationale Olympische Komitee (IOC - International Olympic Committee), für die Olympischen Spiele 1968 in Mexiko zwei deutsche Mannschaften - allerdings unter gleicher Flagge (Schwarz-Rot-Gold mit den olympischen Ringen) und gleicher Hymne (Ode "An die Freude" aus Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie) - zuzulassen. Gleichzeitig nahm das IOC das Nationale Olympische Komitee der DDR als Vollmitglied für das "geographische Gebiet Ostdeutsch- lands" auf. 1968 beschloss das IOC dann, dass ab 1972 die DDR-Mannschaft mit eigener
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Flagge und Hymne auftreten dürfe. Als die Bundesrepublik am 31. Januar 1967 diplomatische Beziehungen zu Rumänien aufnahm, verstärkte die DDR-Regierung ihre Bemühungen um Abgrenzung nach Westen einerseits, um Integration im Osten anderer- seits. Auf der Warschauer Außenminister-Konferenz (8. bis 10. Februar 1967) gelang es der DDR mit Unterstützung der Sowjetunion, die übrigen Mitglieder des Warschauer Paktes auf die "Ulbricht-Doktrin" zu verpflichten. Anders als Rumänien sollten die übrigen Staaten des Pakts erst dann diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik aufnehmen, wenn diese die DDR anerkannt hatte. Auch die Unterzeichnung von Freundschafts- und Beistandspakten mit Polen (10. März), der »SSR (17. März), Ungarn (18. Mai) und Bulgarien (7. September) dienten der Durch- setzung dieses Prinzips und der weiteren Festigung des östlichen Bündnisses, woran die Sowjetunion angesichts der Entwicklung in der Tschechoslowakei und ihres Konflikts mit China ein ebenso großes Interesse hatte wie die DDR. Die ständige Agitation gegen die angeblich "militaristische und imperialistische Politik" der Bundesrepublik diente gleichzeitig dazu, die Bevölkerung der DDR und die Partner des Warschauer Pakts vor einer Annäherung an den Westen zu warnen. Besonders groß schien diese Gefahr in der CSSR zu sein. Das seit 1963 unter dem Einfluss tschechischer Intellektueller einsetzende ideologische und innenpolitische Tauwetter beunruhigte die DDR-Führung in höchstem Maße, schien die neue tschechoslowakische Führung unter Alexander Dubcek, die im Januar 1968 den Altstalinisten Antonín Novotny abgelöst hatte, doch entschlossen zu sein, sich aus dem sozialistischen Lager zu verabschie- den. Walter Ulbricht und die sowjetische Partei- und Staatsführung hatten hinsichtlich der CSSR ein gemeinsames Interesse: Die Disziplin im sozialistischen Lager musste gewahrt, das Prager Experiment eines Kommunismus mit menschlichen Zügen beendet werden. Aus Furcht vor einem Übergreifen der Ideen des Prager Reform- kommunismus auf ihre Bevölkerung drängte die DDR-Führung auf wirksame Maßnahmen gegen Dubcek und seinen Kurs. Sie trug erheblich zu der sowjetischen Entscheidung bei, in der CSSR militärisch zu intervenieren. An der Besetzung der CSSR durch Truppen des Warschauer Pakts waren Einheiten der Nationalen Volksarmee der DDR nicht direkt beteiligt.
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