verwirklichen." Die neue Verfassung gab den gesamtdeutschen Geltungsanspruch der alten auf, formulierte in Artikel 8 aber eine Art Wiedervereinigungswunsch: "Die Deutsche Demokratische Republik und ihre Bürger erstreben darüber hinaus die Überwindung der vom Imperialismus der deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung Deutschlands, die schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus". Wie im "Nationalen Dokument" von 1962 war eine Wiedervereinigung in den Augen der DDR-Führung also nur unter kommunistischen Vorzeichen möglich. Indem sie ihren Klassencharakter und die führende Rolle der SED betonte, entsprach die neue Verfassung den realen Machtverhältnissen in der DDR eher als die alte. Allerdings legte auch sie nicht die wahren Machtverhältnisse - die Entscheidungsgewalt des Politbüros und die allgegenwärtige Kontrolle des Staatssicherheitsdienstes - offen, sondern suggerierte im Abschnitt über die Staatsorganisation einen Staatsapparat, der auf Gewaltenteilung und Volkssouveränität beruhte, was der Realität keineswegs entsprach. Auch die DDR-Verfassung von 1968 garantierte die traditionellen bürgerlichen Grundrechte wie Freiheit der Persönlichkeit, der Medien, des Glaubens, des Gewissens und das Recht der Versammlungsfreiheit. Im Gegensatz zur Verfassung von 1949 fehlten aber das Widerstandsrecht, das Verbot einer Pressezensur, das Auswanderungsrecht und das Streikrecht. Anders als nach bürgerlich-liberalem Verständnis dienten die Grundrechte jedoch nicht dazu, den Bürgerinnen und Bürgern einen Freiraum gegenüber dem Staat zu sichern. Die Verfassung ging vielmehr von einer grundsätzlichen Interessenidentität zwischen Bürgern und Staat aus, und so waren auch die Grundrechte an die sozialistischen Grundsätze und Ziele der Verfassung gebunden. Diese bildeten eine Art von höherem Recht, das die Grundrechte einschränkte. Im übrigen setzte das Strafrecht der Verwirklichung der Grundrechte enge Grenzen.
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Die DDR zwischen Moskau und Bonn Ziel der DDR-Außenpolitik war es, die interna- tionale Isolierung zu durchbrechen und die völkerrechtliche Anerkennung als souveräner Staat zu erreichen. Die Errichtung der Mauer schien die DDR diesem Ziel ein Stück näher gebracht zu haben. Dennoch wurde die DDR-Führung die Sorge nicht los, dass die Sowjet- union den USA und der Bundesrepublik Zugeständnisse auf Kosten der DDR machen könnte. Die Einleitung der Entspannungspolitik zwischen den Supermächten und die seit 1963 von der SPD propagierte "Politik der kleinen Schritte", die zu einem Wandel des DDR-Systems durch Annäherung führen sollte, erregte in Ost-Berlin großes Misstrauen. Um sich des Rückhalts der Sowjetunion zu versichern, forderte die DDR-Führung nach dem Bau der Mauer immer wieder nachdrück- lich den Abschluss eines Friedensvertrages zwischen der Sowjetunion und der DDR, der West-Berlin zur freien entmilitarisierten Stadt und zur "selbständigen politischen Einheit" machen sollte. Die sowjetische Führung unter Chruschtschow unternahm aber nichts, um einen solchen Separatfriedensvertrag abzu- schließen. Vielmehr belehrte Chruschtschow Ulbricht im Januar 1963: "Sie (die sozialisti- schen Länder) haben die Grenze mit West-Berlin ihrer Kontrolle unterstellt. Und das war der wichtigste Schritt zur Festigung der Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik". Statt eines separaten Friedensvertrags wurde am 12. Juni 1964 der "Vertrag über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit zwischen der DDR und der UdSSR" unterzeichnet. Artikel 1 und 4 dieses Vertrages fixierten die Anerkennung der DDR durch die Sowjetunion noch einmal vertraglich. Artikel 5 und 8 unterstrichen die "unverbrüchli- che Freundschaft" zwischen beiden Staaten. In einigen Punkten unterstützte der Vertrag die Auffassung der DDR-Führung in der Deutschland- und Berlin-Politik, so wenn in Artikel 7 "gleichberechtigte Verhandlungen und eine Verständigung zwischen beiden souverä- nen deutschen Staaten" als Voraussetzung für "die Schaffung eines friedliebenden, demokra- tischen, einheitlichen deutschen Staates" genannt wurden oder in Artikel 6 West-Berlin als "selbständige politische Einheit" bezeichnet wurde. Andererseits enthielt der Vertrag auch Passagen, die als Entgegenkommen gegen- über westlichen Positionen interpretiert werden
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