Abgrenzung nach Westen Die mit dem Mauerbau zementierte Absper- rung der DDR nach Westen stand im Wider- spruch zur gesamtdeutschen Rhetorik der DDR-Verfassung und der SED-Propaganda. Diesen Widerspruch aufzulösen, war Aufgabe des "nationalen Dokuments", das der Nationalrat der Nationalen Front (Zusam- menschluss aller politischen Parteien und Massenorganisationen der DDR unter Führung der SED) am 25. März 1962 unter dem Titel "Die geschichtliche Aufgabe der DDR und die Zukunft Deutschlands" veröffentlichte. Walter Ulbricht erklärte dazu, dass die "deutsche Nation heute in zwei Staaten gespalten ist, die sich auf dem Boden Deutschlands feindlich gegenüberstehen". Der Sieg des Sozialismus sei eine historische Gesetzmäßigkeit, die sich auch in West- deutschland vollziehen werde. Erst dann sei die Einheit Deutschlands wiederzuerlangen. Bis dahin sei die Stärkung der DDR der entschei- dende Beitrag zur nationalen Einheit. Der VI. Parteitag der SED bestätigte im Januar 1963 das "Nationale Dokument" noch einmal förmlich. Danach traf die DDR-Führung aber eine Reihe von Entscheidungen, die das Ziel verfolgten, die DDR weiter von der Bundesre- publik Deutschland abzugrenzen. Am 2. Januar 1964 wurden neue Personalaus- weise eingeführt, in denen erstmals als Staats- angehörigkeit "Bürger der Deutschen Demo- kratischen Republik" eingetragen war. Hier zeichnete sich bereits die Aufgabe der gemeinsamen deutschen Staatsangehörigkeit ab, die das Staatsangehörigkeitsgesetz vom 20. Februar 1967 dann gesetzlich fixierte. In der Präambel zum "Gesetz über die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demo- kratischen Republik" hieß es: "Mit der Grün-
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dung der DDR entstand in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht die Staatsbürgerschaft der DDR. Sie ist Ausdruck der Souveränität der DDR und trägt zur weiteren allseitigen Stärkung des sozialistischen Staates bei." In seinen Schlussbestimmungen setzte das Staatsbürgergesetz die bisherige gesetzliche Grundlage für die gemeinsame Staatsange- hörigkeit der Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR, das Reichs- und Staatsange- hörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913, außer Kraft. Diese Entscheidung widersprach der DDR-Verfassung, die noch von einer - gemeinsamen - deutschen Staatsangehörig- keit ausging. Die Bundesregierung kommen- tierte am 20. Februar 1967 das Staatsbürger- gesetz der DDR mit den Worten: "Es gibt nicht zwei Völker, es gibt nur ein deutsches Volk. [...] Die Bewohner im anderen Teil Deutsch- lands bleiben deutsche Staatsangehörige nach Maßgabe des Deutschen Reichs- und Staats- angehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913 und haben Anspruch darauf, von allen deutschen Behörden im Inland und Ausland als solche behandelt zu werden". Verfassung von 1968 Im Februar 1968 wurde der Entwurf einer neuen "sozialistischen" Verfassung der DDR veröffentlicht. Es folgte eine "Volksausspra- che", an der sich in über 750000 Veranstal- tungen die Partei-, Massen- und Betriebsor- ganisationen beteiligten, die aber - vermutlich wegen der Vorboten des "Prager Frühlings" - recht bald von der Staatsführung beendet wurde. Sie erbrachte nur Textänderungen und diente in erster Linie der Bekanntmachung des neuen Verfassungstextes. Immerhin wurde gegenüber dem Entwurf die Gewissensfreiheit in die Verfassung aufgenommen. Die Volks- kammer nahm die neue Verfassung am 26. März 1968 an und ließ sie am 6. April 1968 durch einen "Volksentscheid" bestätigen. Bereits am 9. April 1968 wurde die neue DDR-Verfassung verkündet. Hatte sich die erste DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1949 formal noch stark am Vorbild der Weimarer Reichsverfassung orientiert und den Gedanken der deutschen Einheit vielfach berücksichtigt, so war die neue Verfassung nach dem Vorbild der Volksdemokratien gearbeitet. Sie betonte die führende Rolle der SED und drängte die Idee der deutschen Einheit in den Hintergrund. Artikel 1 erklärte: "Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus
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