innerparteilichen Gegner wurden aus- geschaltet. Die Westmächte hatten, um ein Kriegsrisiko zu vermeiden, auf ein von der Bevölkerung erwartetes Eingreifen in Ost-Berlin verzichtet und sich auf Proteste beschränkt. Der 17. Juni wurde in der Bundesrepublik Deutschland am 4. August 1953 zum gesetzlichen Feiertag erklärt (bis 1990). Der Tag im Detail In den frühen Morgenstunden des 17. Juni finden um Berlin herum Truppenbewegungen statt. Motoren- und Kettengeräusche sind zu vernehmen: Sowjetische Panzer rollen auf Berlin zu. Ihr Ziel ist zunächst das politische und militärische Hauptquartier der sowjeti- schen Besatzungsmacht in Berlin-Karlshorst. Die dort stationierte 12. Panzerdivision wird verstärkt. In Karlshorst finden sich in dieser Nacht auch SED-Chef Ulbricht, Ministerpräsident Grotewohl, der Chef des Staatssicherheitsdienstes, Wilhelm Zaisser, und andere Mitglieder des Politbüros ein. Gemeinsam mit der sowjetischen Führungsspitze beraten sie den möglichen Einsatz der deutschen Polizei- und Sicherheitskräfte und der sowjetischen Truppen für den kommenden Tag. Niemand in Karlshorst denkt zu diesem Zeitpunkt daran, dass es in wenigen Stunden überall im Land zu einem Aufstand kommen wird. Als Krisengebiet gilt einzig Ostberlin und als eigentliche Unruhestifterin wird Westberlin identifiziert. Der Einsatz der ostdeutschen Polizei und der sowjetischen Truppen wird deshalb zunächst allein auf Ostberlin zugeschnitten. Da sich ein Großteil der in der DDR befindlichen sowjetischen Militärmaschine im Manöver befindet, ist die Besatzungsmacht hochgradig einsatzbereit. In den Morgenstun- den des 17. Juni löst das sowjetische Ober- kommando in allen Garnisonen und bei den Truppen im Manövergelände erhöhte Gefechts- bereitschaft aus. Parallel dazu wird im Umland von Berlin auch die Kasernierte Volkspolizei (KVP) in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Einsatzkommandos der KVP aus Potsdam und anderen Standorten werden zur Verstärkung der Polizeitruppen nach Berlin abkommandiert. Etwa gegen 5.00 Uhr herrscht auch bei der KVP die höchste Alarmstufe. Die ganze Nacht durch bis in den Morgen berichtet RIAS Berlin über die Protestaktion des Vortages. Ort und Zeitpunkt der für den Morgen in Ostberlin geplanten Demonstration werden mehrfach bekanntgegeben. Der West-Berliner DGB-Vorsitzende Ernst Scharnowski unterstützt in einem Aufruf an die "Ost-Berliner Kolleginnen und Kollegen", der am Morgen ab 5.36 Uhr insgesamt viermal über den RIAS verbreitet wird, die Forderungen der Bauarbeiter nach Aufhebung der Normerhöhungen. Ein Aufruf zum Generalstreik ist ihm verboten worden. Er könne den Menschen "in der Ostzone und in Ost-Berlin" keine Anweisungen, nur "gute Ratschläge" geben, heißt es in seiner Erklärung. Scharnowski fordert die Ost-Berliner Bevölkerung auf, die Bauarbeiter nicht im Stich zu lassen: "Tretet darum der Bewe- gung der Ost-Berliner Bauarbeiter, BVGer und Eisenbahner bei, und sucht Eure Strausberger Plätze überall auf." Im Sendegebiet des RIAS wird die Botschaft hunderttausendfach vernommen, weitererzählt und diskutiert. Die Westberliner Zeitungen berichten ausführlich über den Vortag: "Ostberlin in Aufruhr - Demonstrationen bis in die Nacht -
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Tausendfacher Ruf: Freie Wahlen!", lautet etwa die Schlagzeile des "Telegraf". Pendler, Reisende und das Fernsprechnetz transportieren die Informationen nach draußen in die DDR. Im SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" erscheint der Beschluss des Politbüros, dass die obligatorischen Normerhöhungen falsch waren und zurückgenommen werden. Allerdings wird die Schuld für die Ereignisse des Vortages nicht der eigenen Politik, sondern Westberlin zugewiesen. Doch auf den Straßen geht es schon nicht mehr allein um die Normerhöhungen. Seit 7.00 Uhr laufen die Standleitungen und Telefonver- bindungen in den Berliner Zentralen der SED, der Staatssicherheit, der Polizei und bei der sowjetischen Besatzungsmacht in Karlshorst heiß: immer mehr Meldungen nicht nur aus Berlin selbst, sondern aus dem ganzen Land gehen ein über Arbeitsniederlegungen, Streiks und sich formierende Demonstrationszüge. Schnell kristallisieren sich in den nächsten Stunden Schwerpunkte heraus: Berlin, Bitterfeld, Halle, Gera, Jena, Leipzig, Magdeburg, Brandenburg und Görlitz. Der RIAS berichtet ab 7.00 Uhr halbstündlich über die anlaufenden Demonstrationen in Berlin; aus den DDR-Bezirken dagegen gibt es kaum Informationen. Reporter des RIAS stehen an der Berliner Sektorengrenze, wagen sich aber nur selten einige Meter in den Ostsektor vor. Weder in Ostberlin noch in den Bezirken sind die Polizei- und Sicherheitskräfte in der Lage, die häufig unüberschaubare Anzahl von Demonstrationszügen aufzuhalten, geschweige denn aufzulösen. Nach kurzer Zeit ist lediglich nur noch eine Sicherung der wichtigen Objekte und zentralen Gebäude möglich; bald sind die deutschen Polizei- und Sicherheitskräfte - zudem mangelhaft ausgerüstet - auch damit hoffnungslos überfordert. Und die sowjetischen Truppen halten sich zunächst zurück. Meist bis gegen Mittag gelingt es deshalb den Demonstranten in einer Reihe von Städten, Haftanstalten, Polizeidienststellen, Einrichtun- gen der Staatssicherheit, Gebäude der Stadtverwaltungen sowie der SED und Massenorganisationen zu erstürmen. Oftmals reicht aber auch eine Belagerung aus, um die Erfüllung von Forderungen oder Zugeständnis- sen zu erreichen. Insgesamt werden schätzungsweise 1.400 Häftlinge befreit. Die deutschen Polizei- und Sicherheitskräfte sind vielerorts in der Defensive, müssen sich zurückziehen. Schließlich erfolgt, zeitlich leicht versetzt, der massive Einsatz sowjetischer Truppen und neu herangeführter deutscher Polizeikräfte. Während in Berlin schon gegen 10.00 Uhr die Panzer langsam in Richtung Stadtzentrum rollen, greifen in den Bezirken die sowjeti- schen Besatzungstruppen erst mittags bzw. im Laufe des Nachmittags ein. Insgesamt werden 16 Divisionen gegen die Aufständischen mobilisiert, davon allein drei Divisionen mit 600 Panzern in Berlin. Am Abend des 17. Juni sind schätzungsweise 20.000 sowjetische Soldaten und 15.000 Angehörige der KVP im Osten Berlins im Einsatz. Ulbricht und andere führende SED-Genossen halten sich unter dem Schutz der Sowjets in Karlshorst auf. Über Standleitungen werden sie auf dem Laufenden gehalten. Mehrere Quellen berichten, dass Ulbricht die Macht als schon verloren betrachtet. Doch die sowjetische Besatzungsmacht verhängt am Nachmittag des
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