wurden. Der Protest war ein einmaliges und beispielloses Ereignis in der Geschichte des Dritten Reiches. Aus Solidarität mit ihren Nächsten hatten Angehörige der gefährdetsten und schwächsten Gruppe der Bevölkerung es gewagt, ihren Protest in den Formen öffentlichen Ungehorsams auszudrücken. Das war offener Widerstand gegen den nationalsozialistischen Staat. Wie Tagebucheintragungen des Reichsministers und Berliner NSDAP-Gauleiters Goebbels beweisen, hat der Mut der Frauen die Machthaber irritiert und nervös gemacht. Auch wenn man nicht genau weiß, welche langfristige Wirkung der Protest hatte - manches spricht dafür, dass die Menschen in der Rosenstraße nicht zur Deportation nach Auschwitz bestimmt waren -, so bildet das Ereignis im Frühjahr 1943 einen Beweis dafür, welch mutige Form von offenem Widerstand möglich war. Der Widerstand traditioneller Eliten Das Bürgertum, die durch Besitz, Bildung, Einfluss geprägte Schicht, stand dem NS-Staat, der an patriotische Gefühle appellierte und der die politische Linke vernichtete, lange Zeit mehrheitlich mit Sympathie, z. T. sogar mit Begeisterung, gegenüber. Eine Minderheit konservativ und liberal denkender Bürger war von Anfang an skeptisch, hatte sich aber in die "innere Emigration" zurückgezogen und zeigte Opposition nach außen allenfalls durch Verweigerung. Nur im Kreis Gleichgesinnter wurden politische Ereignisse und Lebensumstände kritisch kommentiert. Angesichts des augenscheinlichen Erfolgs der Nationalsozialisten hatte auch die Regimegegner eine Art Lähmung befallen. Die allmählich wachsende moralische Empörung einzelner über die Korruption und die alltägliche Gewalt verdichtete sich ab 1938 - dem Jahr des Pogroms gegen die Juden und der Sudetenkrise - zum politischen Widerstand. Unter hohen Militärs, im bayerischen Adel, unter Beamten und Diplomaten, in ganz verschiedenen Kreisen der traditionellen Eliten, die von den Nationalsozialisten entmachtet worden waren oder die nach anfänglicher Gefolgschaft zur Einsicht in die wahre Natur des Regimes kamen, entstand Unruhe: Zum einen über die Radikalisierung der nationalsozialistischen Politik, insbesondere gegenüber den Juden, und zum anderen wegen der expansionistischen Außenpolitik Hitlers, die offenkundig auf Krieg angelegt war. Wachsende Kritik am Dilettantismus der NS-Politik bildete einen weiteren Anlass, über eine Neuordnung nach dem erhofften Ende der NS-Herrschaft nachzudenken. Der Krieg machte diese Notwendigkeit noch deutlicher. In mehreren Widerstandskreisen, die durch persönliche Beziehungen einzelner Mitglieder meist auch voneinander wussten, sich gegenseitig informierten und auch mit dem militärischen Widerstand Kontakt aufnahmen, wurde für die Zeit nach Hitler oder ganz konkret sein Sturz geplant. Der Kreisauer Kreis In Kreisau in Niederschlesien, auf dem Gut des Grafen Moltke, trafen sich Pfingsten 1942 einige Männer und Frauen. Es waren die Tage vom 22. bis 25. Mai, die von dem Freundeskreis genutzt wurden, über Themen zu diskutieren, die vom Verhältnis zwischen Staat und Kirche über Erziehung bis zu Hochschulreform und Lehrerbildung reichten. Es war eine Diskussion über allgemeine und abstrakte Probleme, deren Ergebnisse schriftlich fixiert wurden.
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So wäre das Treffen in Kreisau zu charakterisieren, wenn es in normalen Zeiten stattgefunden hätte. Für den nationalsozialistischen Staat aber war es Hochverrat. Ihre führenden Köpfe waren Helmuth James Graf von Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg. Moltke hatte Jura studiert, war mit der angelsächsischen Welt vertraut. Politisch liberal und von tiefer christlicher Überzeugung, verachtete er die Nationalsozialisten und verzichtete nach seinem Assessorexamen 1933 auf die erstrebte Karriere als Richter. Er ließ sich als Rechtsanwalt in Berlin nieder. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Moltke Referent für Völkerrecht in der Auslandsabwehr des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW). Peter Graf Yorck von Wartenburg war ebenfalls Träger eines berühmten preußischen Namens. Auch er war Jurist, hatte es im Staatsdienst zum Oberregierungsrat gebracht, war ab 1942 im Wehrwirtschaftsamt des OKW tätig. Schon vor dem Krieg hatten beide Gesprächskreise von Regimegegnern um sich geschart. Ab 1940 trafen sich in Kreisau, aber auch in Berlin und München in wechselnder Zusammensetzung etwa 20 Personen, die in der Opposition gegen den Nationalsozialismus übereinstimmten, denen (mit ungefähr noch einmal so vielen Sympathisanten) Weltläufigkeit, soziale Verantwortung und christliches Engagement gemeinsam war. Zu den Gleichgesinnten, wenn auch von ganz anderem Herkommen, gehörte Eugen Gerstenmaier, ein aus schwäbischem Kleinbürgertum stammender evangelischer Theologe, der im Krieg zu der kulturpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes dienstverpflichtet worden war. Adam von Trott zu Solz, Jurist im Auswärtigen Amt, kosmopolitischer Patriot mit Verbindungen ins Ausland, gehörte zu den Kreisauern ebenso wie der Oberpräsident der preußischen Provinz Oberschlesien Hans Lukaschek, den die Nationalsozialisten aus dem Amt gejagt hatten und Theodor Steltzer, der bis 1933 Landrat in Rendsburg gewesen war. Der Kreisauer Kreis bestand aus Männern, die aus ganz unterschiedlichen sozialen, ideologischen und politischen Bereichen kamen. Alfred Delp und Augustin Rösch waren Jesuitenpatres, Adolf Reichwein war Pädagoge und Sozialdemokrat, Hans Peters Professor für Verwaltungsrecht, engagierter Katholik und Demokrat, Harald Poelchau war evangelischer Geistlicher und religiöser Sozialist, Theo Haubach, Julius Leber und Carlo Mierendorff hatten sich als sozialdemokratische Politiker profiliert und dafür im KZ gelitten. Viele Mitglieder des Kreises waren von der Jugendbewegung geprägt, soziales Engagement einte sie alle. Forderung für Erneuerung Die "Grundsätzliche Erklärung", die sie im Mai 1942 formulierten, rechnet man zu den Schlüsseldokumenten des Widerstandes gegen Hitler. Zum Ausdruck kommt darin die Absicht, eine Neuordnung und Neuorientierung von Staat und Gesellschaft nach der Überwindung des Nationalsozialismus zu gestalten. "Wir sehen im Christentum wertvollste Kräfte für die religiös-sittliche Erneuerung des Volkes, für
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