Julius von Jan, seit 1935 evangelischer Pfarrer im württembergischen Oberlenningen, damals 41 Jahre alt, als Mann der Bekennenden Kirche und Kritiker der regimehörigen "Deutschen Christen", war den Behörden schon unliebsam aufgefallen. Er konnte es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, in stiller Empörung zu verharren. Den Bußtag am 16. November 1938 benutzte er, um seine Gemeinde an Christenpflicht zu erinnern. "In diesen Tagen wurde es mir innerlich klar, dass längeres Schweigen Sünde wäre." Die Predigt war eine eindrucksvolle und in ihrer Deutlichkeit einmalige Demonstration gegen den Antisemitismus und gegen den NS-Staat. Von Jan erinnerte daran, wieviel mutige Männer bereits "in Konzentrationslagern mundtot gemacht" worden seien, nur weil sie die Wahrheit gesagt hätten. Mit Schärfe kritisierte er sodann die Verbrechen, die in der Pogromnacht begangen worden seien und forderte die Deutschen zur Buße auf. Am Ende des Gottesdienstes verlas er zur Fürbitte eine Liste von Pfarrern, die mit Redeverbot oder Landesverweisung bestraft worden waren und im Schlussgebet bat er, dass Gott "dem Führer und aller Obrigkeit den Geist der Buße schenken möge". Einige Tage später, am 25. November 1938, wurde von Jan von SA-Leuten vor seinem Pfarrhaus verprügelt, auf das Dach eines Schuppen geworfen, schließlich ins Rathaus gebracht und verhaftet. Bis Februar 1939 blieb er in Kirchheim/Teck inhaftiert, wurde dann nach Stuttgart überführt, geriet im März aus dem Gewahrsam der Justiz in Gestapo-Haft. Am 13. April wurde er entlassen und zwei Tage später aus Württemberg verwiesen. Ab Juli 1939 lebte er in einem evangelischen Freizeitheim in Bayern in der Nähe von Passau. Vom Sondergericht Stuttgart wurde Julius von Jan aufgrund des "Heimtückegesetzes" am 15. November 1939 zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt. Ihm wurde dabei zur Last gelegt, er habe "1) öffentlich gehässige, hetzerische und von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leiten- de Persönlichkeiten des Staates und der NSDAP, über ihre Anordnungen und die von ihnen geschaffenen Einrichtungen gemacht, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben, und in Tateinheit hiermit 2) als Geistlicher in einer Kirche vor mehreren Angelegenheiten des Staats in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstand seiner Verkündigung und Erörterung gemacht". Anfang Juni 1943 wurde der Geistliche zum Kriegsdienst, u. a. an der Ostfront, eingezogen. Im September 1945 kehrte er in sein Pfarramt nach Oberlenningen zurück. Georg Elsers Attentat Am Abend des 8. November 1939 verhafteten in Konstanz zwei Zollbeamte um 20.45 Uhr einen 36jährigen Mann, der illegal die Grenze zur Schweiz überschreiten wollte. Man fand bei ihm Aufzeichnungen über die Herstellung von Munition, Metallteile eines Zünders, und eine Ansichtskarte des Münchener Bürgerbräukellers. Im Festsaal dieser Gaststätte explodierte wenig später, um 21.20 Uhr, eine Bombe. Sieben Menschen fanden sofort den Tod, über sechzig wurden verletzt, einer starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Gegolten hatte der Anschlag Adolf Hitler, der jedes Jahr an diesem Ort seine Getreuen aus der "Kampfzeit der NSDAP" um sich scharte, um seines Putschversuches zu gedenken, der am 8. November 1923 im Bürgerbräukeller begonnen hatte. Hitler hatte an jenem Gedenktag 1939 den Saal gegen 21.10 Uhr - weit früher als üblich - verlassen, weil er wegen schlechten Wetters nicht mit dem Flugzeug nach Berlin zurückkehren konnte, sondern einen Sonderzug benutzen musste, der ihn zu einer Besprechung in die Reichshauptstadt brachte. Dass Hitler der Bombe, die in einer Säule direkt hinter dem Rednerpult detonierte, so knapp entging, wurde von der national-
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sozialistischen Propaganda als Fügung des Schicksals, als Akt der "Vorsehung" gefeiert; andererseits aber gerade deswegen von vielen als heimtückische Inszenierung der Nazis selbst angesehen. Um die Unverletzlichkeit und Unangreifbarkeit des Führers zu demonstrieren, hätten die Nationalsozialisten das Leben der eigenen Leute geopfert, meinten diejenigen, die an einen Propagandatrick glaubten. Zuzutrauen war das den nationalsozialistischen Technikern der Macht, aber es entsprach ebensowenig den Tatsachen wie die Behauptung des Propagandaministers Goebbels und der fixen Idee Hitlers, nach der ausländische Auftraggeber hinter dem Anschlag steckten. Den Attentäter hatte man rasch ermittelt. Der beim illegalen Grenzübertritt in Konstanz festgenommene Mann, Georg Elser, in dessen Tasche das Bild des Tatorts und allerlei weitere Beweisstücke gefunden wurden, den man zuerst nur der Fahnenflucht verdächtigte, legte am 14. November ein Geständnis ab. Wer war dieser Mann und was hatte ihn zu seiner Tat bewogen? Georg Elser, 1903 in Hermaringen im Landkreis Heidenheim in Württemberg geboren, wuchs in sehr einfachen Verhältnissen auf. Er war in der Volksschule ein mittelmäßiger Schüler, schloss aber 1922 eine Schreinerlehre als Jahrgangsbester ab. Nach der üblichen Wanderschaft arbeitete er als Schreinergeselle, ab 1932 im heimatlichen Königsbronn. Elser interessierte sich nicht für Politik. Er wählte bis 1933 zwar regelmäßig die KPD, weil er glaubte, diese Partei sorge am ehesten für die Interessen der Arbeiter; er trat auf das Werben eines Arbeitskollegen sogar in den "Roten Frontkämpferbund" ein. Elser setzte sich aber weder mit den politischen Zielen der Kommunisten auseinander noch nahm er sie zur Kenntnis. Elser war ein verschlossener Einzelgänger, er hatte einen ausgeprägten Sinn für Recht und Gerechtigkeit und in seiner Berufsehre als Schreiner war er empfindlich. Soziale Motive Die Motive, die Georg Elser für seinen Bombenanschlag nannte, waren ein vernichtendes Urteil über die NS-Herrschaft, gesprochen von einem einfachen Mann aus dem Volke, der nicht an politische oder weltanschauliche Theorien gebunden war. Elser war aufgrund ganz handfester Tatsachen zur Überzeugung gekommen, dass sich die Lage der kleinen Leute, um deren Wohl die NSDAP angeblich so besorgt war, drastisch verschlechtert hatte, seit die Nationalsozialisten an der Macht waren: "So z. B. habe ich festgestellt, dass die Löhne niedriger und die Abzüge höher wurden. Während ich im Jahre 1929 in der Uhrenfabrik in Konstanz durchschnittlich 50,- RM wöchentlich verdient habe, haben die Abzüge zu dieser Zeit für Steuer, Krankenkasse, Arbeitslosenunterstützung und Invalidenmarken nur ungefähr 5,- RM betragen. Heute sind die Abzüge bereits bei einem Wochenverdienst von 25,- RM so hoch. Der Stundenlohn eines Schreiners hat im Jahre 1929 eine Reichsmark betragen, heute wird nur noch ein Stundenlohn von 68 Pfg. bezahlt. Aus Unterhaltungen mit verschiedenen Arbeitern ist mir bekannt, dass auch in anderen Berufsgruppen nach der nationalen Erhebung die Löhne gesenkt und die Abzüge größer wurden. [...] Ferner steht die Arbeiterschaft nach meiner Ansicht seit der nationalen Revolution unter einem gewissen Zwang. Der Arbeiter kann z. B. seinen Arbeitsplatz nicht mehr wechseln, wie er will, er ist heute durch die HJ nicht mehr Herr seiner Kinder und auch in religiöser Hinsicht kann er sich nicht mehr so frei betätigen. [...] Diese Feststellungen und Beobachtungen habe ich bis zum Jahre 1938 und auch in der Folgezeit gemacht. Ich habe noch im Laufe dieser Zeit festgestellt, dass deswegen die Arbeiterschaft gegen die Regierung eine Wut hat."
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