Deutsche Geschichten
Widerstand
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verlassen. Der Parteivorstand ließ sich in dieser Haltung auch nach dem Reichstagsbrand und seinen Folgen nicht beirren. Die Parteibasis hatte allerdings dafür nicht immer Verständnis. Die SPD verstand sich zur Zeit der Machtübernahme Hitlers als Opposition, die mit aller Schärfe, aber nur mit legalen Mitteln, gegen die Hitlerregierung und die NSDAP kämpfen wollte. Dazu bestand bald keine Möglichkeit mehr. In den Reichstagswahlen am 5. März 1933 hatte die SPD noch 120 Mandate errungen. Am 23. März wurde über das von Hitler verlangte Ermächtigungsgesetz abgestimmt, mit dem das Parlament sich selbst entmachtete, weil es mit mehr als der notwendigen Zweidrittel-Mehrheit der Reichsregierung Vollmacht zur Gesetzgebung nach Belieben erteilte. SA und SS hatten das Gebäude abgeriegelt, die kommunistischen Abgeordneten konnten schon nicht mehr an der Sitzung des Reichstages teilnehmen. 94 Sozialdemokraten waren noch anwesend, 26 waren bereits verhaftet oder befanden sich auf der Flucht.
Die Rede, mit der der SPD-Vorsitzende Otto Wels die Zustimmung der Sozialdemokraten zum "Ermächtigungsgesetz" verweigerte, war das letzte offen ausgesprochene Wort des Widerstandes in einem deutschen Parlament gegen die Errichtung der NS-Diktatur: "Vergeblich wird der Versuch bleiben, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Wir Sozialdemokraten wissen, dass man machtpolitische Tatsachen durch bloße Rechtsverwahrungen nicht beseitigen kann. Wir sehen die machtpolitische Tatsache ihrer augenblicklichen Herrschaft. Aber auch das Rechtsbewusstsein des Volkes ist eine politische Macht, und wir werden nicht aufhören, an dieses Rechtsbewusstsein zu appellieren. Die Verfassung von Weimar ist keine sozialistische Verfassung. Aber wir stehen zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechts, die in ihr festgelegt sind. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten."
Nach diesem feierlichen Bekenntnis schloss er unter dem Gelächter der NSDAP-Abgeordneten und lebhaftem Beifall der Sozialdemokraten: "Wir grüssen die Verfolgten und Bedrängten.

Gegenwehr der Verfolgten
Für Juden, Zeugen Jehovas, Sinti, Roma und andere gejagte Minderheiten bedeutete "Widerstand" etwas anderes, als für konservative Beamte und adelige Offiziere, die nicht von vornherein als Gruppe bedroht waren.

Wir grüssen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft."
Diese war noch viel weiter entfernt, als selbst die Pessimisten innerhalb der Arbeiter-

bewegung vermuteten. Der Sturm auf die Gewerkschaftshäuser am 2. Mai 1933 endete mit der Zerschlagung der Gewerkschaften, die als soziale Errungenschaft der Stolz der deutschen Arbeiterbewegung waren und als Vorbild in der ganzen Welt bewundert wurden. Schlimmer noch als der Verlust des Vermögens und aller gewerkschaftlichen Einrichtungen an die NSDAP war für das Selbstbewusstsein der Arbeiter, dass die Führung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes unter demonstrativer Abkoppelung von der SPD versucht hatte, sich mit den Nationalsozialisten zu arrangieren, in der so vergeblichen wie irrigen Hoffnung - zu retten, was noch zu retten war.

Am 10. Mai 1933 wurde auch das Parteivermögen der SPD beschlagnahmt, soweit es nicht bereits ins Ausland gerettet worden war. Am 22. Juni erging das Verbot jeglicher politischer Tätigkeit, gleichzeitig erloschen alle Mandate der SPD im Reichstag und in den Länderparlamenten. Viele sozialdemokratischen Funktionäre wurden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Das Umfeld der SPD, von den Arbeiterbildungsvereinen bis zur Arbeitersportbewegung und allen voran natürlich das "Reichsbanner Schwarz Rot Gold" als Kampforganisation für Demokratie und Rechtsstaat, waren bereits dem Druck des nationalsozialistischen Terrors erlegen.

Vorstand im Exil

Der SPD-Vorstand hatte zuletzt auf eine Doppelstrategie gesetzt. Gestützt auf die Parlamentsmandate wollte die Partei politisch aktiv und präsent bleiben; gleichzeitig baute sie ab Frühjahr 1933 in Prag eine Auslandszentrale auf, von der aus die illegale Weiterarbeit im Deutschen Reich geleitet werden sollte. Nach dem Verbot im Juni verblieb nur noch der Exilparteivorstand in Prag. Um den Einfluss in Deutschland nicht zu verlieren, wurde das Parteiorgan in Prag weiter publiziert und hieß jetzt "Neuer Vorwärts". Grenzsekretariate wurden rings um Deutschland eingerichtet. Kuriere brachten dorthin Nachrichten und Berichte aus Deutschland über die soziale Lage der Arbeiterschaft sowie über die Einstellung der Bevölkerung zum Regime. Sie transportierten von diesen Stellen aus Flugschriften und anderes Propagandamaterial ins Reich. Mit Erlebnisberichten und einer Dokumentation über die Konzentrationslager, in denen zu diesem Zeitpunkt schon 50000 Menschen gefangengehalten wurden, versuchte die Exil-SPD bereits 1934, die Nachbarstaaten auf den Terror der Nationalsozialisten aufmerksam zu machen.

Die SPD-Führer im Prager Exil arbeiteten seit Herbst 1933 an einer Programmschrift, um ihrer Opposition gegen die nationalsozialistischen Machthaber ein Ziel zu geben und die theoretische Position der SPD zu klären. Ende Januar 1934 wurde das "Prager Manifest" veröffentlicht. Darin hieß es, die Wiedereroberung demokratischer Rechte sei eine "Notwendigkeit, um die Arbeiterbewegung als Massenbewegung wieder möglich zu machen". Der "Kampf um die Demokratie" erweitere sich zum "Kampf um die völlige Niederringung der nationalsozialistischen Staatsmacht".

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