Deutsche Geschichten
Widerstand
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Verweigerung im Alltag und Widerstand im Krieg
5000 Todesurteile trafen Widerstand-Leistende aus allen Kreisen und Schichten.

stiller Abwehr und Verweigerung) erschien auch vielen Regimekritikern als einziger Ausweg. Angesichts des Denunziantentums und der Möglichkeiten zum Terror, die der Staat schliesslich in Händen hatte, konnte man dem einzelnen auch kaum einen Vorwurf machen. Viele gaben sich ausserdem der trügerischen Hoffnung hin, die NS-Herrschaft könne nicht lange dauern - wegen des Dilettantismus ihrer Funktionäre, wegen der überspannten aussen- und militärpolitischen Ziele, wegen des Auslands, das die Provokationen und die Exzesse der Nationalsozialisten nicht endlos hinnehmen werde. Als diese Illusion sich als trügerisch erwies, hatten die Nationalsozialisten längst alle öffentlichen Einrichtungen nach ihrem Willen umgebaut oder beseitigt, den Rechtsstaat zerstört, einen Herrschaftsapparat aufgebaut, der als Staat im Staate funktionierte, mit eigenen Ausführungsorganen wie der Schutzstaffel (SS), der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), dem System der Konzentrationslager, womit sie ihre Gegner einschüchtern, einsperren und vernichten konnten. Nach zwölf Jahren war die Herrschaft der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) durch die militärische Niederlage des Deutschen Reiches beendet. Europa lag in Trümmern, Millionen Tote waren zu beklagen, auf den Schlachtfeldern, unter der Zivilbevölkerung und als Opfer der Verbrechen und Mordaktionen des nationalsozialistischen Regimes: sechs Millionen Juden, Hunderttausende Sinti und Roma, die dem Rassenwahn geopfert wurden, Oppositionelle, sowjetische Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter aus vielen Nationen, Behinderte, Angehörige unerwünschter Minderheiten, als "Assoziale" denunzierte Menschen, Homosexuelle. Erklärungsversuche Schon in den dreißiger Jahren, vor allem aber nach dem Zweiten Weltkrieg, suchte die Welt nach Erklärungen für die Haltung der Deutschen, die dies alles, wenn nicht gewollt oder gebilligt, so doch hingenommen hatten, die dem "Führer" Adolf Hitler mindestens äusserlich bis zum Untergang die Treue gehalten hatten. Die Deutschen seien aufgrund ihres Charakters und ihrer Geschichte - so einer der Erklärungsansätze - besonders autoritätsgläubig veranlagt, zur Demokratie unfähig und daher bereit zur Unterordnung unter einen Führer, gleichzeitig aber gierig, sich als Herrenmenschen über andere Völker zu erheben, Deutschland zur Grossmacht zu machen, kurzum, alle Deutschen seien Nazis gewesen und fanatische Anhänger Hitlers: Das glaubten viele Menschen in aller Welt, als die Verbrechen der Hitlerregierung offenkundig wurden. Sich rechtfertigend und den pauschalen Vorwurf abwehrend, zogen sich Deutsche in grosser Zahl auf die Entschuldigung zurück, man habe nichts gewusst und auch nichts machen können. Konzentrationslager oder Verurteilung durch Sondergerichte oder Schlimmeres habe jedem gedroht, der sich nicht angepasst habe. Deutschland und die Deutschen seien die ersten Opfer von Hitler und seinem Unrechtsregime gewesen, lautete die Rechtfertigung. Tatsächlich brauchte es aber Zeit, das Terrorsystem aufzubauen und den Rechtsstaat zu beseitigen. Diese Zeit hatten die Nationalsozialisten zur Verfügung, weil sie lange auf die wachsende Begeisterung einer Mehrheit deutscher Bürger bauen konnten. Die Wahrheit über die deutsche Haltung ist komplizierter. Die Deutschen sind keineswegs aus Veranlagung anfällig für rechtsextreme Programme und Ideologien. Sie waren aber auch nicht ohnmächtige Opfer nationalsozialistischen Terrors. Es gab vielfältige Haltungen von Verweigerung, Opposition und Widerstand, aber es gab auch,

selbst bei Regimekritikern und entschiedenen Hitlergegnern, Übereinstimmungen in den Zielen und Loyalitäten gegenüber Vorgesetzten. Insbesondere lebten viele in Gewissenskonflikten: durfte man den Kampf gegen die eigene Obrigkeit führen, während das Vaterland bedroht war? Musste man nicht nach aussen hin zusammenstehen? Aus diesem Dilemma kamen die meisten Offiziere nicht heraus, die Hitler und die Nationalsozialisten verachteten, aber glaubten, dem äusseren Feind gegenüber ihre Pflicht tun zu müssen. Der Historiker Hans Mommsen kommt zu dem Schluss: "Die grosse Masse der Staatsbürger war bereit, dem Kabinett Hitler einen Vertrauensvorschuss einzuräumen, was sich bald als verhängnisvoll erwies. Die Vorstellung, das System von innen reformieren zu können, hielt sich auch bei den oppositionellen Gruppen ungewöhnlich lang. Der bürgerliche Widerstand stand zum Dritten Reich in einem Verhältnis gebrochener Loyalität, er lehnte dessen innenpolitische Methoden ab, stimmte aber in manchen aussen- und militärpolitischen Zielsetzungen überein." Weil ihnen die Werte "Freiheit" und "Demokratie" weniger galten als die Hoffnung auf eine Großmachtstellung Deutschlands, nahmen die Deutschen das NS-Regime hin, auch wo sie es missbilligten: "Nicht überlegene Manipulation und Herrschaftstechnik, sondern mangelnde Widerstandskraft der deutschen Gesellschaft gegen die Zerstörung der Politik ist die entscheidende Ursache der deutschen Katastrophe." (Hans Mommsen) Hilfsdienste Neuere Ergebnisse eines Forschungsprojekts haben noch bittere Wahrheiten über das "Dritte Reich" zutage gefördert.
Die Gestapo war gar nicht das allmächtige und allgegenwärtige Instrument des Terrors, das jederzeit und überall Regungen des Widerstandes erstickte und Oppositionelle vernichtete. Die Historiker Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul ziehen nach gründlichen Studien über Herrschaft und Alltag im Saarland das Fazit: "Ohne das Heer der freiwilligen Zuträger aus der Bevölkerung und Verwaltung wäre die Gestapo nahezu blind gewesen. Und ohne die Amtshilfe durch Kriminalpolizei, Schutzpolizei und Gendarmerie hätte sie die ihr aufgetragenen Funktionen nicht erfüllen können [...] Die Gestapo bildete zwar die letzte Instanz, war aber in den wenigsten Fällen die treibende Kraft. Sie verhörte, selektierte, entschied, deportierte, verwarnte; zu selbständigen Recherchen aber war sie kaum in der Lage. Die breite Kollaboration mit dem Regime, die gesellschaftliche Akzeptanz des Terrors hoben diese Defizite auf und verschafften der Gestapo viele Ohren, gerade auch im Umfeld der Regimegegner."

Klaus Harpprecht -
"Harald Poelchau - Ein Leben im Widerstand"

Im Jahr 1933 übernahm ein junger Theologe das Amt des Gefängnispfarrers in der Berliner Haftanstalt Tegel: HARALD POELCHAU. Er ahnte nicht, dass er in den folgenden zwölf Jahren dem mörderischen Charakter des Nationalsozialismus so hautnah begegnen sollte. Mehr als eintausend zum Tode verurteilte Häftlinge hat er auf ihren Gang zum Henker vorbereitet, einige hundert bis zur Richtstätte begleitet. Doch blieb es nicht bei seelischem Beistand. Unter dem Schutz, den er als Geistlicher genoss, hat Poelchau im Widerstand fast täglich sein Leben riskiert und in Berlin ein Netzwerk aufgebaut, dass politisch und rassisch Verfolgten Unterschlupf bot und vielen das Leben rettete. Zum ersten Mal wird jetzt die bewegende Lebensgeschichte Poelchaus in einer Biographie dargestellt. "Harald Poelchau ist eine der faszinierendsten Gestalten des deutschen Widerstands gegen Hitler" (Peter Schneider). Gewiss war er einer der tapfersten, menschlichsten und bescheidensten.

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