wurde. Der militärische Triumph über Frankreich brachte für Hitler eine beispiellose Machtsteigerung nach innen und nach außen. In der Wehrmacht ging die Rede vom „größten Feldherr aller Zeiten“ um; der „Führer“-Mythos hatte damit eine neue Dimension erreicht. Denn die Offiziere verloren mit ihren militärischen Expertentum die letzte Bastion ihrer vermeintlichen Eigenständigkeit, und sie waren nun um so mehr bereit, sich Hitlers Führung endgültig zu unterwerfen, auch wenn sie aus ihrer fachlichen Sicht manches anders beurteilten. Während Hitler mit Blumen, Glockengeläut und einer Siegesparade in Berlin Anfang Juli seinen letzten politisch-militärischen Triumph feierte und das „Großdeutsche Reich“ sich nach innen und nach außen auf dem scheinbaren Höhepunkt seiner Macht befand, war das Regime nicht in der Lage, diese neue Position politisch und strategisch zur eigenen mittelfristigen Stabilisierung zu nutzen. Das hatte viel mit der Logik des nationalsozialistischen Systems zu tun, das auf der permanenten Mobilisierung und Radikalisierung seiner Herrschaftsziele und -techniken beruhte und vor allem von einem „Führer“ beherrscht wurde, der sich mit seinen dogmatisch fixierten Eroberungsplänen selbst unter Zugzwang setzte. Der Erfolg über Frankreich war für Hitler nur eine Etappe auf dem Weg seiner weiteren Eroberungspolitik. Krieg gegen England Der Krieg gegen England sollte tatsächlich nur geführt werden, um die gewünschte Handlungsfreiheit nach Osten zu erreichen. Sollte das nicht gelingen, dann rückte als Alternative der Krieg gegen Russland in den Blick, den Hitler nun aber zu einem früheren Zeitpunkt als vorgesehen zu führen gedachte, um mit einem Sieg im Osten England zu isolieren und doch noch zum Einlenken zu zwingen. Der Krieg gegen die Sowjetunion erhielt in diesen mehr vom ideologischen Wollen und von Wunschträumen als von politisch-militärischen Realitäten bestimmten Überlegungen eine doppelte Funktion: Er blieb ideologisches Ziel, wurde aber nun auch Mittel zur Erreichung seines Fernziels. Diese Doppeldeutigkeit warf ein bezeichnendes Licht auf die politisch-strategischen Widersprüche, in die sich Hitler selbst manövrierte. Zunächst versuchte Hitler es mit der direkten Auseinandersetzung, doch fiel der Auftakt zum Krieg gegen England recht zögerlich und vorsichtig aus. Zunächst sollte England durch Luftangriffe zum Einlenken gezwungen werden. Ein Landeunternehmen hielt Hitler zu dieser Zeit für ein sehr großes Risiko, das erst in Betracht komme, „wenn kein anderer Weg offen ist, um mit England zum Schluss zu kommen“. Auch das OKW betrachtete ein solches Unternehmen als eine „Verzweiflungstat“, die aber vermeidbar sei, da es andere Wege gäbe, um England zu bezwingen. Doch die Luftwaffe, die mit ihren Angriffen auf England am 5. August begann, war nicht in der Lage, die militärischen Voraussetzungen für ein Landeunternehmen zu
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schaffen. Zwar konnten die deutschen Jagd- und Bombenflugzeuge die Infrastruktur der britischen Armee hart treffen. Sie konnten aber weder die Luftüberlegenheit über England erringen noch dauerhaft das britische Potential an Flugzeugen und einsatzfähigen Piloten ausschalten. Mit der Verlagerung auf eine Zermürbungsstrategie durch Bombenangriffe auf Wohnbezirke, die am 24. August 1940 begann, wurden die ohnehin knappen Ressourcen an Flugzeugen und Personal noch weiter zersplittert. Dies hatte zur Folge, dass die Luftwaffe an keiner Front schlagkräftig genug war, um den englischen Widerstand zu brechen. Zwar dehnte sie den Bombenkrieg, der von englischer Seite mit Angriffen auf Berlin beantwortet wurde, immer mehr auf englische Industriestädte wie Coventry und Birmingham aus, aber dadurch blieb die britische Luftwaffe von weiteren massiven Angriffen auf ihre Stützpunkte verschont. Am 17. September musste unter dem Eindruck der steigenden Verluste der deutschen Luftwaffe die Landung „bis auf weiteres“ verschoben werden. Es war eine schwere Niederlage für Hitler, die er erst am 5. Dezember eingestand. Ausweitung des Krieges Um so rascher konzentrierte er sich seit dem Sommer 1940 auf den Alternativplan, nämlich Russland, das er als den „Festlandsdegen“ Englands bezeichnete, zuerst zu schlagen. Mittlerweile hatte die Regierung des national- sozialistischen Deutschlands erkennen müssen, dass der amerikanische Präsident Roosevelt dem neuen britischen Premiermini- ster Churchill nicht nur den Rücken stärkte, sondern sich darauf einstellte, die Führung des Westens gegen Deutschland zu übernehmen. Das trieb Hitler zu einer weiteren Beschleuni- gung seines Eroberungsprogrammes. Es zeichnete sich das Konzept einer globalen Ausweitung des Krieges ab, den Hitler als „Weltblitzkrieg“ zu führen gedachte. Hitlers Absicht zielte in einer Strategie des Alles oder Nichts darauf, dass er die kontinentale Herrschaft im Osten erringen müsste, so lange die USA rüstungstechnisch noch nicht hinreichend vorbereitet waren. Ein Sieg über Russland, den nicht nur Hitler, sondern auch die Wehrmachtsführung und selbst ausländische Militärexperten angesichts des offensichtlich desolaten Zustandes der Roten Armee für wahrscheinlich hielten, würde nicht nur „Englands letzte Hoffnung“ tilgen, sondern auch die USA von weiteren Interventionen abhalten. Das war das machtpolitische Kalkül, das Hitler den militärischen Spitzen des Reiches am 31. Juli 1940 entwarf und das ihm eine zusätzliche Begründung für sein ideologisches Ziel der Lebensraumeroberung im Osten zu bieten schien. „Im Zuge dieser Auseinandersetzung muss Russland erledigt werden. Frühjahr 1941. Je schneller wir Russland zerschlagen“, folgerte Hitler, „um so besser“. Als Hitler erkannte, dass seine ursprünglichen und ohnehin sehr vagen Stufenplanungen einer geordneten Reihe von Feldzügen durcheinandergeraten waren,
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