Noch gab es Offiziere und Soldaten, die das Morden der SS registrierten und dagegen aufbegehrten. Aus der 14. Armee wurde gemeldet, in der Truppe herrsche große Unruhe, die „durch die zum Teil ungesetzlichen Maßnahmen von Einsatzgruppen [...] entstanden“ sei (Massenerschießungen, insbesondere von Juden). Die Truppe sei „vor allem darüber verärgert, dass junge Leute, statt an der Front zu kämpfen, ihren Mut an Wehrlosen erprobten.“ Generaloberst Johannes Albrecht Blaskowitz ließ die Meldungen über die Misshandlungen von Juden und Polen, über Vergewaltigungen, Plünderungen und Morde sammeln und übte in verschiedenen Denkschriften an den Oberbefehlshaber des Heeres, die schließlich auch bei Hitler landeten, scharfe Kritik. Am 6. Februar 1940 bilanzierte er: „Die Einstellung der Truppe zu SS und Polizei schwankt zwischen Abscheu und Hass. Jeder Soldat fühlt sich angewidert und abgestoßen durch diese Verbrechen, die in Polen von Angehörigen des Reiches und Vertretern der Staatsgewalt begangen werden.“ Eine Woche später wurde der lästige Kritiker auf Drängen des Generalgouverneurs von Polen Hans Frank an die Westfront abgeschoben. Sein Protest blieb wirkungslos, wenn er auch seiner militärischen Karriere nicht geschadet hat. Gewiss gab es viele Zeichen einer individuellen Scham, aber diejenigen Soldaten, die gegen den Terror von SS und Polizei protestierten, standen sowohl innerhalb des verbrecherischen Systems als auch unter ihren Standesgenossen auf verlorenem Posten. Für einige wenige Offiziere wurden die Erfahrungen in Polen zur Grundlage eines moralisch-politischen Aufbegehrens. Einer von ihnen, Helmuth Stieff (1901-1944), Chef der Gruppe III der Operationsabteilung im Generalstab und im Widerstand aktiv, formulierte seine Befindlichkeit im November 1939: „Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein! Diese Minderheit, die durch Morden, Plündern und Sengen den deutschen Namen besudelt, wird das Unglück des ganzen deutschen Volkes werden, wenn wir ihr nicht bald das Handwerk legen.“
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Doch die politischen Voraussetzungen für ein solches Aufbegehren waren denkbar ungünstig. Die Mehrheit der Offiziere fühlte sich durch die preußisch-deutschen Tugenden von Gehorsam und Vertrauen an die Obrigkeit gebunden oder beschränkte sich auf die rein militärischen Aufgaben. Sie nahmen die Aktionen nicht zuletzt auch deshalb hin, weil die Vorurteile gegen Juden und Polen überwogen. Hinzu kam, dass der erfolgreiche Krieg die anfängliche Beklemmung in der Bevölkerung in neue Zuversicht umschlagen ließ. Diese Zuversicht der Bevölkerung war freilich zu einem guten Teil darauf zurückzuführen, dass sie an ein baldiges Ende des Krieges und an ein Einlenken der Westmächte glaubte. Hitler war jedoch trotz seines „Friedensappells“ vom 6. Oktober 1939, mit dem er den Alliierten eine Verständigung - allerdings zu seinen Bedingungen - anbot, zur Offensive im Westen entschlossen. Etwas anderes als eine Flucht nach vorn schloss sein politisches Denken völlig aus. Ohne eine Antwort auf seine „Friedensrede“ abzuwarten, teilte er den Oberbefehlshabern der Wehrmacht seine Entschlossenheit mit, den Zeitpunkt des Angriffes „wenn nur irgend möglich noch in diesen Herbst zu legen“. Denn: „Nach Lage der Dinge kann [...] die Zeit mit größerer Wahrscheinlichkeit als Verbündete der Westmächte gelten, denn als Verbündete von uns.“ Als Kriegsziel nannte er die „Vernichtung der Kraft und der Fähigkeit der Westmächte, noch einmal der staatlichen Konsolidierung und Weiterentwicklung des deutschen Volkes in Europa entgegentreten zu können“. Das bedeutete den Anspruch auf eine völlige deutsche Hegemonie über den Konti- nent, um dann im Osten die Eroberungspolitik weitertreiben zu können. Durch einen siegrei- chen Krieg gegen Frankreich, so Hitlers Kalkül,
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