Kredite. Dadurch verschärfte sich die Wirtschaftskrise in Deutschland; die Arbeitslosigkeit nahm weiter zu. Hindenburg jedoch teilte Brüning am Tag nach der Wahl mit, er genieße weiterhin sein Vertrauen und solle sich nicht beirren lassen. Um seine parlamentarische Basis nach rechts zu verbreitern, versuchte der Reichskanzler, die NSDAP in seine Politik einzubinden, zumal ihr Führer aus dem Fehlschlag von 1923 gelernt hatte und sich seither verfassungstreu gab. Um seine Partei gegen ein Verbot abzusichern und ihre Mitglieder im öffentlichen Dienst vor der Entlassung zu schützen, nutzte Hitler die Chance zu einem öffentlichkeitswirksamen "Legalitätseid": Als geladener Zeuge im Leipziger Reichsgerichtsprozess, in dem drei junge Offiziere wegen nationalsozialistischer Betätigung in der Reichswehr angeklagt wurden, erklärte er am 25. September 1930 unter Eid, seine Bewegung kämpfe "nicht mit illegalen Mitteln"; "noch zwei bis drei Wahlen", dann werde sie "in der Mehrheit sitzen" und "den Staat so gestalten, wie wir ihn haben wollen". Tolerierungspolitik der SPD Die SPD geriet durch das Wahlergebnis in ein Dilemma. Setzte sie ihre Opposition gegen Brünings autoritäre und unsoziale Politik konsequent fort, dann bestand die Gefahr einer erneuten Reichstagsauflösung und -neuwahl. Dabei konnte die NSDAP, die von der Wirtschaftskrise noch mehr profitierte als die KPD, so stark werden, dass Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernennen würde. Was aber eine NS-Regierung bedeuten musste, hatte bereits das Beispiel des Faschismus in Italien gezeigt: ein schnelles Ende der Demokratie und des Rechtsstaates, der Linksparteien und der Gewerkschaften. So weit sollte es in Deutschland nicht kommen. Deshalb durfte auch die in Preußen nach wie vor bestehende Weimarer Koalition nicht gefährdet werden. Vor diesem Hintergrund beschloss die SPD, Brüning als das kleinere Übel zu tolerieren. Um weitere Reichstagsauflösungen zu vermeiden, sorgte sie - wenn auch widerwillig - zusammen mit Zentrum und BVP, DDP, DVP, Wirtschaftspartei und gemäßigten Deutschnationalen dafür, dass die Regierung bei Abstimmungen keine Niederlage erlitt. Dadurch wurde sie jedoch, wie die innerparteiliche Linke scharf kritisierte, politisch bewegungsunfähig und für ihre Mitglieder und Wähler zunehmend unattraktiv. Unter Krisenbedingungen konnte sie weder sozialdemokratische Politik durchsetzen - Brüning machte ihr nur minimale Zugeständnisse -, noch war sie in der Lage, sich als politische Alternative zu profilieren. Als Partei des "Brüning-Blocks" galt sie verständlicherweise in den Augen der Öffentlichkeit als mitverantwortlich für die unsoziale Politik des Reichskanzlers. Unter diesen Bedingungen nahm das Ansehen des Parlamentes weiter ab. Denn der Reichstag verlor nicht nur faktisch seine demokratische Kontrollfunktion gegenüber der Regierung, sondern er wurde auch als Zentrum der Gesetzgebung zunehmend funktionslos. Das Präsidialregime griff immer öfter zu Notverordnungen, der Reichstag trat immer seltener zusammen. Diese Aushöhlung des Parlamentarismus hat der NSDAP 1933 die Errichtung der Diktatur wesentlich erleichtert. Deflationspolitik Die Regierung Brüning erhöhte die direkten Steuern (auf Löhne, Einkommen und Umsätze), besonders aber die indirekten (Massenverbrauchssteuern, unter anderem auf Zucker, Tabak und Bier). Sie baute die staatlichen Sozialausgaben ab und kürzte die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst (mit Ausnahme der Reichswehr). Auf diese Weise wollte Brüning das krisenbedingte Sinken des
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Steueraufkommens abfangen, Einnahmen und Ausgaben des Staates im Gleichgewicht halten und die im Zuge des Produktionsrückganges überschüssig werdende Kaufkraft abschöpfen. Diese "Deflationspolitik" zielte vor allem auf die Sicherung der Geldwertstabilität, die nicht nur den Vorschriften des Young-Planes entsprach, sondern - nach der traumatischen Inflationserfahrung von 1923 - durchaus auch im Sinne der Bevölkerung lag. Da jedoch die Belastungen ungleich verteilt wurden, die ostelbische Großlandwirtschaft (vor allem auf Wunsch Hindenburgs) sogar weiterhin Subven- tionen aus der Staatskasse erhielt, lief die Deflationspolitik aus sozialpolitischer Sicht darauf hinaus, die Krise in erster Linie auf dem Rücken der Arbeitnehmer und der Arbeitslosen zu bewältigen. Sie wirkte wie eine "Einlösung politischer Verpflichtungen gegenüber Großagrariern und Industriellen" (Dietmar Petzina). Darüber hinaus zeigte sich rasch, dass die Deflationspolitik nicht nur kein Mittel gegen die Krise war, sondern diese sogar noch ver- schärfte. Denn durch die Kürzung der Staatsausgaben und die Absenkung der privaten Einkommen verringerte sich die kaufkräftige Nachfrage; dadurch ging die Produktion noch weiter zurück, während die Arbeitslosigkeit rapide anstieg. Je länger die Krise anhielt, desto mehr Arbeitslose fielen spätestens nach 26, als über 40-jährige nach 39 Wochen aus der Arbeitslosenversicherung mit ihren bescheidenen, nach Lohnklassen gestaffelten Leistungen heraus. Danach erhielten sie bis zu 39 bzw. 52 Wochen eine deutlich geringer bemessene, bedürftigkeitsge- bundene Krisenunterstützung; schließlich die noch knapper bemessene (rückzahlungspflich- tige) kommunale Wohlfahrtsunterstützung. Von den 4,7 Millionen Arbeitslosen im Frühjahr 1931 bezogen 43 Prozent Arbeitslosengeld, 21 Prozent Leistungen der Krisenfürsorge und 23 Prozent Zuwendungen der Wohlfahrtsunter- stützung. Die übrigen 13 Prozent erhielten überhaupt keine Unterstützung. In der zweiten Hälfte des Jahres 1931 führten zwei einschneidende Ereignisse zu einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Eine von Deutschland und Österreich angestrebte, für beide Länder wirtschaftlich vorteilhafte Zollunion scheiterte an ihrer politischen Brisanz: Frankreich sah darin - sicher nicht zu Unrecht - den ersten Schritt zu einem "Großdeutschland" und einer kontinen- talen Hegemonie des Reiches und erhob Einspruch. Ausländische Kapitalanleger riefen daraufhin zahlreiche fällige Kredite zurück, statt sie zu verlängern. In beiden Ländern gerieten viele Banken in Schwierigkeiten. Am 11. Mai brach die Österreichische Creditanstalt zusammen. Am 13. Juli musste auch die Darmstädter und Nationalbank unter dem Ansturm der in Panik versetzten Sparer, die ihre Einlagen abheben wollten, ihre Zahlungen einstellen. Sämtliche Banken wurden für zwei Tage geschlossen; das Reich musste ihnen mit einer Milliarde RM unter die Arme greifen. Trotzdem konnten die Bankkunden nur noch in beschränktem Umfang über ihre Guthaben verfügen. Die Bankenkrise verschärfte zusätzlich die chronische Kapitalknappheit der deutschen Wirtschaft. Allerdings brachte sie Bewegung in die Reparationsfrage: Angesichts der Gefahr eines finanziellen und wirtschaftli- chen Zusammenbruchs Deutschlands mit unabsehbaren internationalen Auswirkungen setzte der amerikanische Präsident Herbert Hoover durch, dass sowohl die deutschen Zahlungen an die Siegermächte als auch die Rückzahlung der alliierten Kriegsschulden an die USA ab 6. Juli 1931 für ein Jahr unterbro- chen wurden (Hoover-Moratorium). Am 21. September 1931 koppelte Großbri- tannien das Pfund Sterling vom Goldstandard ab, um es um 20 Prozent abzuwerten. Durch eine entsprechende Verbilligung seiner Waren auf dem Weltmarkt wollte das Land seinen Export fördern und neue Arbeitsplätze schaffen. Die Länder mit Pfund-Währung (Indien, Ägypten, Palästina, Irland, Australien, Neuseeland, Südafrika), Skandinavien und weitere Staaten folgten dem Beispiel. Das bis dahin bestehende internationale Währungs- system mit festen Wechselkursen auf der Basis des Goldpreises brach zusammen. Der Wert der Reichsmark stieg; deutsche Produkte wurden auf dem Weltmarkt relativ teuer, was zu einem beträchtlichen Rückgang der Auslandsnachfrage führte. Brüning antwortete darauf mit einer weiteren Verschärfung des Deflationsdrucks: Nach der Notverordnung vom 6. Oktober 1931 konnten Arbeitslose nur noch 20 statt 26 Wochen Leistungen der Arbeitslosenversicherung beziehen. Die am 8. Dezember verordneten allgemeinen Lohn-, Miet-, Zins- und Preissenkungen, durch die die Wettbewerbsnachteile der deutschen Wirtschaft ausgeglichen werden sollten, erschienen der SPD hinnehmbar. Mittelstand, Industrie und Banken dagegen zeigten sich verärgert. Da sich die marktwirtschaftswidri- gen Maßnahmen der Dezember-Verordnung nicht voll und vor allem nicht gleichzeitig verwirklichen ließen, wurden Hersteller und Verbraucher zusätzlich verunsichert - die Inlandsnachfrage nahm weiter ab. Bankenkrise, Pfundabwertung und deflations- politische Notverordnungen führten zu einem erneuten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Im Durchschnitt des Jahres 1932 gab es 5,6 Millionen registrierte Arbeitslose (29,9 Prozent). Ende Februar lag die Zahl der "sicht-
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