radikalen Flügel um den Parteivorsitzenden Hugenberg stützen. Die neue Regierung besaß also keine Mehrheit. Übergang zum Präsidialregime Wie Brüning trotzdem seine Politik durchzu- setzen gedachte, eröffnete er dem Reichstag am 1. April 1930 in seiner Regierungserklä- rung: Sein Kabinett sei - so laute Hindenburgs Auftrag - "an keine Koalition gebunden" und werde "der letzte Versuch sein, die Lösung mit diesem Reichstage durchzuführen". Das hieß im Klartext: Die neue Regierung wollte notfalls ohne und gegen das Parlament arbeiten, mit Hilfe der Machtmittel des Reichspräsidenten: Notverordnungen nach Artikel 48 WV und Reichstagsauflösung nach Artikel 25 WV. Sie verstand sich als "Präsidialkabinett", als "Hindenburg-Regierung". Eine solche Konstruk- tion war in der Verfassung nicht vorgesehen. Bereits am 18. März 1929 hatte der strikt antisozialistisch gesinnte Hindenburg insge- heim mit dem DNVP-Fraktionsvorsitzenden Graf Westarp die Möglichkeit einer Regierung seines Vertrauens - ohne und gegen die Sozialdemokratie - erörtert. Kurz nach Ostern 1929 erfuhr Brüning - so berichtet er in seinen Memoiren, deren Echtheit und Zuverlässigkeit unter Historikern allerdings umstritten ist - von Schleicher, der Reichspräsident sehe die Gefahr, "dass die ganze Innen- und Außen- politik im Sumpfe verlaufe". Er wolle daher "das Parlament im gegebenen Augenblick für eine Zeit nach Hause schicken und in dieser Zeit mit Hilfe des Artikels 48 die Sache in Ordnung bringen". Brüning und Schleicher waren sich einig: "Die Monarchie muss am Ende der Reformen stehen." Brüning warnte aber davor, sie "im Kampfe gegen die Masse der geschulten Arbeiterschaft" wieder einzu- führen. Ende Dezember 1929 wurde Brüning von Schleicher und Staatssekretär Meissner darüber informiert, "dass der Reichspräsident unter keinen Umständen gewillt sei, nach Verabschiedung des Young-Plans noch das Kabinett Hermann Müller im Amt zu lassen". Hindenburg erwarte, dass Brüning sich als Reichskanzler zur Verfügung stelle. Brüning empfahl sich für dieses Amt - so überliefert Meissner in seinen Erinnerungen eine Äußerung Schleichers - "als Zentrumsabge- ordneter mit konservativer Einstellung, als erfahrener Politiker und national gestimmter ehemaliger Frontsoldat", den die Rechtspar- teien, die Reichswehr und (wegen seiner "sozialpolitischen Einstellung") sogar die SPD akzeptieren könnten. Bereits am 15. Januar 1930 erfuhr Graf Westarp (seiner Niederschrift zufolge) von Hindenburg und Meissner die Richtlinien für das Kabinett Brüning: "a) antiparlamentarisch, also ohne Koalitions- verhandlungen und Vereinbarungen, b) antimarxistisch; auch nach seiner (Hindenburgs - Anm. d. Red.) Ansicht sei es schon um der Wirtschaft und Finanzen willen durchaus erforderlich, zum mindesten auf einige Zeit hinaus, den sozialdemokratischen Einfluss auszuschalten, c) Wandlung in Preußen [...]. Meissner glaubte, dass gegebenenfalls das Zentrum jetzt bereit sei, auch in Preußen Wandel zu schaffen". Die in Preußen regierende Weimarer Koalition sollte also nach Möglichkeit ebenfalls gesprengt werden. Parallel zu diesen Vorbereitungen im Palais des Reichspräsidenten nahmen Wirtschafts- kreise verstärkt Einfluss auf die DVP, um deren Austritt aus der Großen Koalition zu
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erreichen. Unter Stresemanns Nachfolgern Ernst Scholz und Eduard Dingeldey waren die "Vernunftrepublikaner" in der DVP ins Abseits geraten. Im Dezember 1929 veröffentlichte der von der Schwerindustrie beherrschte Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) eine mit der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (VDA) abgestimmte Denkschrift zur Bekämpfung der Wirtschafts- krise mit dem Titel "Aufstieg oder Nieder- gang?". Ihre wichtigsten Forderungen lauteten: Steuererleichterungen für Unternehmer, Abschaffung der Zwangsschlichtung, Senkung der Staatsausgaben und Reform der Arbeits- losenversicherung durch "Ersparnismaßnah- men, nicht aber durch erhöhte Beiträge". Diesen Kurs machte sich die industrieabhän- gige DVP zu Eigen. Am 5. Februar 1930 berichtete der DVP-Abgeordnete Erich von Gilsa dem Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Stahlindustrieller, Paul Reusch, vertraulich über den Stand der Entwicklung: Scholz wolle "bewusst auf einen Bruch mit der Sozialdemokratie hinarbeiten". Er habe dies- bezüglich schon "Verbindungen mit Schiele, Treviranus und Brüning aufgenommen". Der Bruch der Großen Koalition erfolgte also im Zusammenspiel einflussreicher Vertreter autoritärer politischer - zum Teil monarchi- stischer - Bestrebungen und wirtschaftlicher Interessen. Vor diesem Hintergrund erscheint der Vermittlungsvorschlag des bereits als Reichskanzler vorgesehenen Heinrich Brüning vom 27. März 1930 in einem anderen Licht: Er war dazu gedacht, die Große Koalition "vor der Öffentlichkeit an der Kompromisslosigkeit der SPD und nicht an der Intransigenz des kom- menden Koalitionspartners DVP zu Schanden gehen zu lassen" (Volker Hentschel). Die Bereitschaft der DDP zur Mitarbeit im Kabi- nett Brüning und mehr noch ihr Zusammen- schluss mit dem antisemitischen "Jungdeut- schen Orden" zur "Deutschen Staatspartei" im Juli 1930 machten sichtbar, dass 1928/29 nicht nur in der DNVP, im Zentrum und in der DVP, sondern auch bei den Linksliberalen ein Rechtstrend eingesetzt hatte. Reichstag Die ersten Gesetzesvorlagen der neuen Regierung - Finanzhilfen für die ostelbische Landwirtschaft, Steuererhöhungen zur Deckung des Reichshaushaltes 1930 - wurden vom Reichstag mit knapper Mehrheit angenommen. Misstrauensanträge von SPD und KPD gegen diese sozial unausgewogene Politik blieben erfolglos. Da die Arbeitslosigkeit weiter zunahm, beschloss die Regierung im Juni eine zusätzliche Deckungsvorlage: Reform der Arbeitslosenversicherung durch eine Beitragserhöhung (der jetzt auch die DVP zustimmte) auf 4,5 Prozent bei gleichzeitigen Leistungskürzungen, Ledigensteuer, Notopfer für Beamte und Angestellte, einheitliche Kopfsteuer. Als der Reichstag Teile dieses noch unsozialeren Programms am 16. Juli ablehnte, setzte Brüning die gesamte Vorlage in Form zweier Notverordnungen des Reichs- präsidenten nach Artikel 48 Abs. 2 WV in Kraft. Die Umwandlung eines vom Reichstag abge- lehnten Gesetzentwurfes in eine Notverord- nung war eindeutig verfassungswidrig. Am selben Tag wurde der Antrag der SPD-Fraktion, Brünings Notverordnungen nach Artikel 48 Abs. 3 WV aufzuheben, vom Parlament mit großer Mehrheit angenommen. Unmittelbar danach löste der Reichspräsident den Reichstag nach Artikel 25 WV auf. Die Notverordnungen wurden in einer noch verschärften Fassung wieder in Kraft gesetzt. Zwar mussten gemäß Artikel 25 WV späte- stens nach 60 Tagen Neuwahlen stattfinden; bis dahin aber konnte mit Notverordnungen regiert werden. Gegen die Ausschaltung des Parlamentes durch die missbräuchlich kombinierte Anwendung der Artikel 48 WV und 25 WV hätte sich der Reichstag entweder durch eine Volksabstimmung über die Absetzung des Reichspräsidenten nach Artikel 43 WV oder durch eine Anklage gegen den
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