Schließlich verlor das Geld seine Funktion als Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel: Statt Bargeld wurden überall Naturalien (beispielsweise Lebensmittel, Zigaretten, Kohle) verlangt. Als der Einzelhandel dazu überging, seine Waren zu horten, kam es zu Hungerdemonstrationen und Plünderungen, im Berliner Scheunenviertel am 5./6. November sogar zu antisemitischen Ausschreitungen. Gewinner der Inflation waren die Schuldner, die ihre Verpflichtungen schlagartig mit wert- losem Geld zurückzahlen konnten - vor allem Bauern, die ihre Schulden aus der Vorkriegs- zeit abschüttelten, und der Staat, der seine Kriegsanleihen bei den Bürgern ablöste. Ferner profitierten Mieter, Pächter und besonders Ex- portunternehmer, deren Kosten sich nicht nur mit fortschreitender Geldentwertung verringer- ten, sondern die auch für ihre Produkte im Ausland harte Dollars erhielten. So war es dem devisenstarken Großunternehmer und DVP-Reichstagsabgeordneten Hugo Stinnes schon 1920 bis 1922 gelungen, mit Krediten Eigentumsanteile an mehr als 1600 Betrieben zusammenzukaufen (Siemens-Rhein-Elbe-Schuckert-Union). Sein Geschäfts- partner Friedrich Flick, ebenfalls DVP-Mitglied, erwarb durch geschickte Börsenspekulationen Industrieanteile im Wert von 100 Millionen GM. Verlierer waren die Gläubiger, die für "gutes" verliehenes Geld jetzt wertloses zurückerhiel- ten, ebenso die Bezieher fester Geldeinkom- men (Arbeitnehmer, Rentner, Vermieter, Ver- pächter), mit denen man immer weniger kaufen konnte, und die Besitzer von Spargut- haben. Währungsreform Die seit November 1922 amtierende DVP-Zentrum-DDP-Regierung unter dem (partei- losen) Reichskanzler Wilhelm Cuno musste erkennen, dass der Kampf gegen die Ruhr- besetzung in den wirtschaftlichen Ruin führte; am 12. August 1923 trat sie zurück. Gustav Stresemann (DVP) bildete ein Kabinett der "Großen Koalition" (SPD - DDP - Z - DVP), verkündete am 26. September das Ende des passiven Widerstandes und leitete eine Wäh- rungsreform ein. Bei der am 15. November eingeführten "Rentenmark" (1 Rentenmark = 1 Billion Papiermark [das heißt Inflationsgeld] bei 4,2 Rentenmark für den Dollar) handelte es sich zwar um eine Übergangswährung, doch wurde sie rasch als Zahlungs- und Wertaufbe- wahrungsmittel akzeptiert. Außerdem schuf sie die Voraussetzung für konstruktive Repara- tionsverhandlungen. Am 30. August 1924 -
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unmittelbar vor In-Kraft-Treten des Dawes-Plans - erfolgte ihre Ablösung durch die goldgedeckte, im internationalen Zahlungsverkehr voll konvertierbare "Reichsmark". Diktatur in Bayern Die Empörung in der deutschen Rechten über den Abbruch des passiven Widerstandes lieferte der rechtskonservativen bayerischen Staatsregierung den Vorwand zu einem Schlag gegen die Weimarer Republik. Unter Berufung auf Artikel 48 Abs. 4 WV, der auch einer Lan- desregierung Notstandsmaßnahmen erlaubte, verhängte sie den Ausnahmezustand über Bayern, ernannte den Regierungspräsidenten von Oberbayern und früheren Ministerpräsi- denten Gustav Ritter von Kahr zum "besonde- ren Generalstaatskommissar" und übertrug ihm die vollziehende Gewalt - Kahr verfüge über besonders gute Beziehungen zu den deutschvölkischen Verbänden und sei daher in der Lage, "Störungen der öffentlichen Ord- nung" zu verhindern. Auf diesen hochverräteri- schen Versuch, in Bayern eine Rechtsdiktatur zu errichten, reagierte Reichspräsident Ebert sofort mit der Verhängung des Ausnahmezu- standes über ganz Deutschland. Er übertrug die vollziehende Gewalt auf Reichswehrmini- ster Geßler; real lag sie dadurch beim Chef der Heeresleitung, General von Seeckt. Kahr, quasi Diktator, bildete mit General Otto von Lossow, dem bayerischen Wehrkreiskom- mandeur, und Oberst Hans von Seißer, dem Chef der bayerischen Landespolizei, eine Art "Triumvirat" (Drei-Männer-Bündnis). In den folgenden Wochen ließen sie unter anderem das Republikschutzgesetz in Bayern außer Kraft setzen, sozialdemokratische Selbst- schutzorganisationen und linke Zeitungen verbieten und mehrere hundert jüdische Fa- milien, die vor Jahrzehnten aus Osteuropa eingewandert waren ("Ostjuden"), mit faden- scheinigen Begründungen aus Bayern ausweisen.
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