Die Reichsregierung versuchte vergeblich, durch die Zusage politischer Reformen und einer Amnestie die Selbstauflösung der Roten Ruhrarmee zu erreichen. Schließlich erhielten Reichswehrtruppen unter dem Kommando des Generals von Watter am 2. April 1920 "volle Freiheit des Handelns, zu tun, was die Lage gebietet", das heißt die Rote Ruhrarmee mit allen Mitteln (auch mit Hilfe von Standgerich- ten) zu bekämpfen. Diesmal ließ sich die Reichswehr bereitwillig einsetzen, ging es doch gegen die "Bolschewisten", nicht gegen "Kameraden". Es ähnelt einer Satire, dass unter anderem die Marinebrigade Loewenfeld ins Ruhrgebiet geschickt wurde - drei Wochen vorher hatte sich dieses Freikorps am Kapp-Lüttwitz-Putsch beteiligt. Die Gräueltaten der Regierungstruppen übertrafen bei weitem die Ausschreitungen der Roten Ruhrarmee. Wer bei seiner Festnahme bewaffnet war, wurde sofort erschossen - auch Verwundete. Am 3. April musste Reichspräsident Ebert die Standgerichte wieder verbieten, um das Schlimmste zu verhüten. Erst am 12. April untersagte General von Watter seinen Soldaten "gesetzwidriges Verhalten". Nach dem Ende der Kämpfe hatten die Aufständi- schen weit mehr als 1000 Tote zu beklagen, Reichswehr und Freikorps etwa 250. Reichstagswahlen 1920 Der Putschversuch von rechts und der Revolutionsversuch von links veranlassten die Weimarer Koalition dazu, sich früher als geplant den Wählern zu stellen und den ersten republikanischen Reichstag an die Stelle der Nationalversammlung treten zu lassen. Nach einer Wahlrechtsänderung entfiel jetzt auf 60000 Stimmen ein Mandat. Die Wahlen vom 6. Juni 1920 endeten für das Bündnis zwischen sozialdemokratischer Arbeiterschaft, liberalem Bürgertum und politischem Katholizismus mit einer verheerenden Niederlage. MSPD, DDP und Zentrum erlitten so schwere Verluste, dass sie zusammen unter die 50-Prozent-Marke rutschten - sie vermochten ihre Mehr- heit nie wiederzuerlangen. Demgegenüber erzielten USPD, DVP und DNVP beträchtliche Gewinne. Die starken Einbußen der Weimarer Koalition erklären sich aus der seit Sommer 1919 anhaltenden politischen Polarisierung, die - je nach Standort der Wäh- ler - mit der Enttäuschung über die stecken gebliebene Revolution und ihre gescheiterte Fortsetzung bzw. mit der Empörung über den Versailler Vertrag und mit der Anziehungskraft der Dolchstoßlegende zusammenhing. Da die USPD der Weimarer Koalition nicht beitreten und die MSPD mit der im Wahlkampf monar- chistisch und antisozialistisch aufgetretenen DVP nicht koalieren wollte, wechselten die Mehrheitssozialdemokraten in die Opposition. Zentrum, DDP und DVP bildeten eine bürger- liche Minderheitsregierung unter Reichskanzler
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Konstantin Fehrenbach (Zentrum). Unter diesen Bedingungen musste das 9-Punkte-Programm der Gewerkschaften vom 18. März 1920 weitgehend unerfüllt bleiben. Sozialisierungsideen stand die neue Regierung noch ferner als die alte. Die Freikorps wurden allerdings aufgelöst. Auf Druck der Alliierten schaffte man jetzt auch die Einwohnerwehren ab (in Bayern im Sommer 1921). Nicht wenige ihrer Mitglieder wandten sich den deutschvöl- kischen Organisationen zu - unter anderem der NSDAP und der SA. In Preußen, wo die Weimarer Koalition ihre Mehrheit behielt, machte die Landesregierung jetzt ernst mit der Demokratisierung des öffentlichen Dienstes. In den folgenden Jahren wurden viele republikfeindliche Beamte aus ihren Positionen entfernt, sodass Preußen, das über 60 Prozent der Fläche und der Bevölkerung der Weimarer Republik umfasste, Republikanern bald als "Bollwerk der Demokratie", Rechtsstehenden als "rote Festung" galt. Demgegenüber entwickelte sich Bayern, der zweitgrößte Flächenstaat, eher in eine andere Richtung. Die MSPD wurde schon während des Kapp-Lüttwitz-Putsches in die Opposition gedrängt, und es etablierten sich rechtskonservative Regierungen unter Führung der BVP. Bayern erwarb sich - je nach politischer Perspektive - den Ruf einer "Ordnungszelle" oder eines "Hortes der Reaktion". Auflagen Nach langer Vorbereitung - ohne deutsche Beteiligung - entschieden die Alliierten am 29. Januar 1921 in Paris über Umfang, Zeitdauer und Zahlungsweise der von Deutschland zu erbringenden Reparationen. Die Weimarer Republik sollte ab 1. Mai 1921 226 Milliarden Goldmark (GM) zahlen, verteilt auf 42 Jahre, in Jahresraten von anfangs zwei, später sechs Milliarden GM. Darüber hinaus waren im selben Zeitraum jährlich zwölf Prozent des Wertes der deutschen Ausfuhr (etwa 1-2 Milliarden GM) abzuführen. Frankreich sollte 52 Prozent, England 22 Prozent, Italien zehn Prozent und Belgien acht Prozent der Reparationen erhalten; die restlichen acht Prozent verteilten sich auf sonstige Kriegsgegner. Die treibende Kraft hinter diesen harten Forderungen war der französische Vorsitzende der alliierten Reparationskommission, Raymond Poincaré, 1922 bis 1924 und 1926 bis 1929 Ministerpräsident und Außenminister seines Landes. Frankreich gedachte - ebenso wie England - mit Hilfe der deutschen Zahlungen seine Nachkriegskrise zu überwinden und seine Kriegsschulden bei amerikanischen Gläubigern (Banken) zu begleichen. Auch erwartete die französische Öffentlichkeit eine nachhaltige Schwächung
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