zahlreiche schwierige Probleme zu lösen hatte. Die Umstellung der Kriegs- auf Friedenswirt- schaft und die Wiedereingliederung der Kriegs- teilnehmer in den Arbeitsprozess waren noch nicht abgeschlossen. Die Gebietsabtrennungen führten einerseits zum Abbruch eingespielter Binnenwirtschaftsbeziehungen, andererseits zu einem Zustrom von Flüchtlingen und Ausge- wiesenen. Der Staat war hoch verschuldet, seine Finanzmittel waren äußerst knapp. Die Reparationen - vorab bis zum 1. Mai 1921 Leistungen im Werte von 20 Milliarden Gold- mark (eine inflationssichere Verrechnungs- einheit, die dem 1395. Teil eines Pfundes Feingold entsprach) - bedeuteten eine schwere Belastung. Da das Kaiserreich den Krieg von 1914 bis 1918 nicht nur mit Krediten finanziert hatte, sondern auch - bei einem rückläufigen Warenangebot - durch eine Vervierfachung sowohl der umlaufenden Bargeldmenge als auch des Giralgeldes (Buchgeld für den bargeldlosen Zahlungsverkehr), war eine erhebliche Nachkriegsinflation die Folge. Für die Bedienung der Staatsverschuldung (153 Milliarden Mark), die Erfüllung des Friedensvertrages und vor allem für den Aufbau des neuen Staates und seiner Sozialpolitik benötigte die Republik enorme finanzielle Mittel. Reichsfinanzminister Erzberger schuf daher 1919/20 eine eigene Finanzverwaltung des Reiches (das bis 1918 von den Finanzzuweisungen der Bundesstaaten abhängig gewesen war) und gliederte das Steueraufkommen in Reichs-, Länder- und Gemeindesteuern. Das Reich erhielt unter anderem 100 Prozent der Einkommensteuer und der Verbrauchssteuern, 85 Prozent der Umsatzsteuer und 80 Prozent der neu eingeführten Erbschaftssteuer. Mit einmaligen Abgaben für Vermögende (Kriegsabgaben, "Reichsnotopfer") demonstrierte Erzberger, dass es ihm nicht einfach um die Füllung der Staatskasse, sondern auch um die Abschöpfung von Kriegsgewinnen und um Steuergerechtigkeit ging. 39 Prozent des gesamten Steueraufkommens erhielt das Reich, 23 Prozent die Länder, 38 Prozent die Gemeinden. Diese notwendige Steuerreform war freilich nicht unproblematisch: Länder und Gemeinden gerieten infolge der Schmälerung ihres Steueranteils in finanzielle Schwierigkei- ten und in Abhängigkeit vom Reich. Die Inflation wurde zusätzlich angeheizt, weil sich das Reich zur Überbrückung der Anlaufzeit noch mehr verschulden musste und weil in der Wirtschaft die Einkommens- und Vermögens- abgaben teilweise auf die Preise abgewälzt wurden. Trotz der schwierigen Ausgangslage nahm die wirtschaftliche Entwicklung in den ersten Nach- kriegsjahren einen relativ günstigen Verlauf. Mit der Aufhebung der alliierten Seeblockade am 12. Juli 1919 entfiel ein schweres Hindernis für den Außenhandel und die Nahrungsmittel- versorgung. Danach kam es zu einer Wieder- belebung der Friedensproduktion bei an- nähernder Vollbeschäftigung und, trotz der Inflation, zu einer leichten Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards. Die Nachkriegs- inflation wurde vorläufig von Unternehmer- verbänden, Gewerkschaften und Staat still- schweigend akzeptiert, denn sie bildete die Grundlage des bis Mitte 1921 anhaltenden Wirtschaftsaufschwungs: Die Industrie konnte lohnkostengünstig produzieren und sich auf dem internationalen Markt Wettbewerbsvor- teile verschaffen. Auch Staatsaufträge, unter anderem im Eisenbahnbereich, kurbelten die Wirtschaft an; sie erhöhten allerdings die
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Staatsverschuldung. Zwischen März 1920 und Juli 1921 strömte amerikanisches Spekula- tionskapital ins Land, da der Wechselkurs der deutschen Währung in diesem Zeitraum einigermaßen stabil bei etwa 60 Mark für den Dollar lag. Ging die Industrieproduktion 1920/21 weltweit um 15 Prozent zurück (was damals als starker Einbruch galt), so stieg sie in Deutschland um 20 Prozent an. Freilich erreichte sie hier 1920 erst wieder 55 Prozent des Vorkriegsniveaus, 1921 immerhin schon 66 Prozent. Die Arbeitslosigkeit fiel 1921 unter drei Prozent, 1922 sogar unter zwei Prozent, während sie im Ausland durchweg im zwei- stelligen Bereich lag. Der Wirtschaftsauf- schwung blieb aber an zwei Bedingungen geknüpft: Die Inflation durfte nicht außer Kontrolle geraten, und die Reparationen mussten sich als bezahlbar erweisen. Politische Polarisierung Mitte 1919 klagte Ludendorff in einem Ge- spräch mit dem Chef der britischen Militär- mission, Generalmajor Malcolm, über die mangelnde Unterstützung der deutschen Front durch die Heimat im letzten Kriegsjahr. "You mean that you were stabbed in the back?" fragte Malcolm erstaunt zurück. Diese Formu- lierung griff Ludendorff sofort auf: "Ja, genau das. Man hat uns einen Dolchstoß in den Rücken versetzt." Dies war (auch wenn sich der Begriff bis zum Dezember 1918 zurück- datieren lässt) die eigentliche Geburt der berüchtigten so genannten Dolchstoßlegende. Hindenburg, seit dem 25. Juni 1919 im Ruhe- stand, machte am 18. November vor dem Ausschuss der Nationalversammlung für die Schuldfragen des Weltkriegs eine Aussage über die "Ursachen des deutschen Zusammen- bruchs im Jahre 1918". Er las einen Text vom Blatt ab, der in der Öffentlichkeit ungeheures Aufsehen erregte: "In dieser Zeit setzte die heimliche planmäßige Zersetzung von Flotte und Heer als Fortsetzung ähnlicher Erscheinun- gen im Frieden ein [...]. So mussten unsere Operationen misslingen, es musste der Zusammenbruch kommen; die Revolution bildete nur den Schlussstein. Ein englischer General sagte mit Recht: ,Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden.' [...] Wo die Schuld liegt, ist klar erwiesen." Damit stellte Hindenburg die Tatsachen auf den Kopf. Niemand wusste besser als die kaiserlichen Generäle, dass der Krieg unter ihrer Führung bereits militärisch verloren war, bevor die Auflösungserscheinungen an der Westfront begannen; dass diese nicht so sehr auf "Zersetzung" zurückzuführen waren (obwohl es solche Versuche gegeben hatte), sondern auf Erschöpfung und Verzweiflung; dass die OHL selbst die von ihr gewünschte parlamentarische Regierung sofort zu einem
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