Deutsche Geschichten
Versailles
Versailles
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Verhandlungen des neuen Reichskanzlers Bauer von vornherein vergeblich. Als Ebert am 23. Juni bei der OHL in Kassel anrief, um sich nach den Chancen eines militärischen Widerstandes zu erkundigen, eilte Hindenburg vor die Tür, um nicht mit dem Reichspräsidenten sprechen zu müssen. Groener übernahm die Aufgabe, Ebert die Wahrheit zu sagen. "Die Wiederaufnahme des Kampfes ist [...] aussichtslos. Der Friede muss daher unter den vom Feinde gestellten Bedingungen abgeschlossen werden." So eindeutig mochte er sich aber nicht als "Erster Generalquartiermeister" äußern, sondern nur als "Deutscher, der die Gesamtlage klar übersieht". Da es keine verantwortbare Alternative gab, beschloss die Nationalversammlung am Nachmittag des 23. Juni 1919 mit großer Mehrheit die Annahme des Friedensvertrages; dagegen stimmten die DNVP, die DVP, die meisten DDP- und einige Zentrumsabgeordnete. Am Abend und an den folgenden Tagen verübten Reichswehr-
angehörige auf den Unterzeichner des Waffenstillstandes, Matthias Erzberger, Attentatsversuche. Zur Unterzeich-
nung mussten sich Außenminister Hermann Müller (MSPD) und Verkehrsminister Johannes Bell (Zentrum) am 28. Juni 1919 im Spiegel-
saal des Schlosses zu Versailles einfinden, wo die deutschen Fürsten 1871 Wilhelm I. zum Kaiser ausgerufen hatten. Nach der Ratifizie-
rung durch die Unterzeichnerstaaten trat der Vertrag am 10. Januar 1920 in Kraft.

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"Ich hab mich ergeben"
Das von Hans F. Maßmann komponierte Lied "Ich hab mich ergeben", besteht ursprünglich aus 6 Strophen, hier die Strophen 1 und 4: 1. Ich hab' mich ergeben Mit Herz und mit Hand, |: Dir Land voll Lieb' und Leben, Mein deutsches Vaterland! :| 4. Ach Gott, tu' erheben Mein jung Herzensblut |: Zu frischem freud'gem Leben, Zu freiem frommem Mut! :|

Bestandteil des Vertrages war die Satzung des vor allem auf Betreiben des amerikanischen Präsidenten Wilson am 29. April 1919 in Versailles gegründeten Völkerbundes (dem Deutschland vorläufig nicht angehören durfte).

Wegen der darin enthaltenen Sanktionsbestim-
mungen lehnte jedoch die Mehrheit des US-Kongresses, die nach dem Krieg zum traditionellen Isolationismus zurückkehren und eine Verwicklung in internationale Konflikte vermeiden wollte, im November 1919 die Satzung ab. Ausgerechnet die USA blieben daher dem Völkerbund fern, was diesen von vornherein schwächte.

Ein separater deutsch-amerikanischer Friedensschluss erfolgte am 25. August 1921.

Der Versailler Vertrag nahm Deutschland nicht nur sämtliche Kolonien, sondern auch 13 Prozent seines Territoriums und zehn Prozent seiner Bevölkerung, damit verbunden 50 Prozent der Eisenerzversorgung, 25 Prozent der Steinkohleförderung, 17 Prozent der Kartoffel- und 13 Prozent der Weizenernte. Der Großteil dieser Gebiete fiel an den nach 123-jähriger Teilung wieder gegründeten Staat Polen - für die Alliierten auch ein Bollwerk gegen den russischen Bolschewismus. Die neue Grenzziehung im Osten führte wegen der dortigen gemischtnationalen Siedlungsweise unvermeidlich zu neuen Minderheitsproblemen. Wo bisher Polen unter preußisch-deutscher Herrschaft leben und nationalistische Diskrimi-
nierungen erdulden mussten, kehrten sich die-
se Verhältnisse jetzt um. Es gab auch Ströme von deutschen Flüchtlingen und Ausgewiese-
nen. Clemenceau war mit weiter gehenden Forderungen (Übernahme aller linksrheini-
schen deutschen Gebiete durch Frankreich) im Kreise der "Großen Drei" gescheitert; er galt bei den französischen Nationalisten schon bald als "Verlierer des Sieges". Im "Diktatfrieden" von Brest-Litowsk hatte Deutschland dem Russischen Reich annähernd ein Viertel seines europäischen Territoriums - das freilich von nach Unabhängigkeit strebenden Völkern bewohnt war - und damit zugleich ein Viertel seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche sowie

drei Viertel seiner Schwerindustrie und Kohleproduktion entzogen; nun wurde es selbst in Versailles ähnlich hart behandelt. Gleichwohl blieb sein nationalstaatliches Gefüge weitgehend erhalten; auch eine Rückkehr in den Kreis der Großmächte war nicht ausgeschlossen.

Kriegsschuld-Artikel (Artikel 231)
Diese These von der Alleinschuld Deutschlands wurde das Fundament für alle Wiedergutmachungsforderungen der Alliierten.

Dennoch gelangte die deutsche Öffentlichkeit nicht nur im spannungsgeladenen Sommer 1919, sondern auch später, in den zwanziger und dreißiger Jahren bei der Auseinander-
setzung mit dem Vertrag von Versailles über eine leidenschaftliche Verdammung nicht hinaus. Zu groß war die Enttäuschung darüber, dass das von Wilson proklamierte Selbstbe-
stimmungsrecht der Völker zwar auf andere Nationen, aber kaum auf Deutschland angewandt wurde.

Zudem unterblieb eine öffentliche Diskussion über den Kriegsschuldanteil und die Kriegs-
zielpolitik des Kaiserreiches; auch im Untersuchungsausschuss der Nationalver-
sammlung für die Schuldfragen des Weltkriegs fand sie nicht statt. Die Beamten des Auswärtigen Amtes und der Reichskanzlei gaben zu bedenken, dass die Veröffentlichung aufschlussreicher, geheimer Dokumente - insbesondere zu den weitgesteckten deutschen Kriegszielen (Annexion von Teilen Frankreichs und Belgiens, dauerhafte Ausschaltung Frank-
reichs als Großmacht durch hohe Reparatio-
nen, wirtschaftliche und politische Vormacht-
stellung in Europa, Weltmacht mit einem mittelafrikanischen Kolonialreich) - die Verhandlungsposition der Reichsregierung gegenüber den Alliierten schwächen würde.
Dieser Auffassung schloss sich die Mehrheit der Ausschussmitglieder (darunter Mehrheits-
sozialdemokraten ebenso wie Deutschnatio-
nale) an. Der Verzicht auf eine rückhaltlose politische Aufarbeitung des Weltkriegs leistete allerdings später unfreiwillig der "Dolchstoßle-
gende" Vorschub.

Dolchstoßlegende

Die militärische Niederlage, die die Oberste Heeresleitung am 2. Oktober 1918 öffentlich vor den Parteiführern eingestand, wirkte auf die deutsche Bevölkerung wie ein furchtbarer Schock. Nach all den Siegesmeldungen, selbst noch aus den letzten Monaten, wollte man die Niederlage nicht zur Kenntnis nehmen. Schon bei der Begrüßung heimkehrender Fronttrup-
pen in der Heimat tauchte das Wort >>im Felde unbesiegt<< auf. Bald schon erschien das Wort >>Dolchstoß<< in der Rechtspresse, wurde die Revolution für die Niederlage verantwortlich gemacht. Die Dolchstoßlegende war geboren. Die Heimat sei der kämpfenden Front in den Rücken gefallen. Hindenburg untermauerte diese Deutung des Zusammen-
bruchs, indem er am 18. November 1919 vor dem Untersuchungsausschuss der National-
versammlung sich auf die Aussage eines britischen Generals berief und erklärte, die deutsche Armee sei von hinten erdolcht worden. Das unverändert große Ansehen, das der ehemalige Feldmarschall noch immer im deutschen Volk genoss, sorgte dafür, dass die Dolchstoßlegende - obwohl sachlich völlig unhaltbar - rasch eine außerordentlich große Verbreitung erfuhr und eine entsprechende Wirkung erzielte. Sie ist ständig von der politischen Rechten als Waffe im innenpoli-
tischen Kampf gegen die Weimarer Parteien verwandt worden. Sie wurde schließlich in der Propaganda der Nationalsozialisten zum tödlichen Dolchstoß gegen die erste deutsche Republik.

Finanzpolitik und Wirtschafts-
entwicklung

Weimarer Verfassung und Versailler Vertrag steckten den innen- und außenpolitischen Rahmen ab, innerhalb dessen die Republik

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