Lange vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Alliierten einig, dass die Ver- antwortlichen für die natio- nalsozialistische Herrschaft vor einem internationalen Gerichts- hof im Namen der 1945 in Nachfolge des Völkerbundes entstandenen Vereinten Nationen zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Die Bestrafung der "Hauptkriegs- verbrecher" war im November 1943 angekündigt worden. Das Gerichtsstatut wurde im August 1945 veröffentlicht, die Tatbe- stände lauteten "Verschwörung gegen den Frieden", "Verbre- chen gegen den Frieden", "Kriegsverbrechen", "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Dahinter verbargen sich Morde und Misshandlungen, Deportation zur Sklavenarbeit, Verfolgung und Vernichtung von Men- schenleben. Der Anklagepunkt "Vorbereitung und Durchfüh- rung eines Angriffskriegs" jedoch war völlig neu in der Geschichte des Rechts, und dieser Anklagepunkt nährte bei manchen Beobachtern den Verdacht, dass das juristische Fundament des ganzen Haupt- kriegsverbrecherprozesses auf schwankendem Grund erbaut sei. Dass die Sieger über die Verlierer zu Gericht saßen, um Hitlers Angriffskrieg als Völker- rechtsbruch zu ahnden, erschien manchen auf der Verliererseite eher als Akt von "Sieger- oder Rachejustiz" denn als Exempel zur Fort- entwicklung des internationalen Rechts. Über der Diskussion, ob der Internationale Gerichts-
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hof nicht den Grundsatz, "keine Strafe für eine Tat, die zur Zeit der Ausführung noch nicht unter Strafe stand" verletzte, konnte allerdings zu leicht vergessen werden, dass zur Verurteilung der Männer auf der Anklagebank die her- kömmlichen deutschen Straf- gesetze völlig ausreichten, und dass kein einziger nur wegen des neuen Straftatbestandes "Vorbereitung und Durchfüh- rung eines Angriffskrieges" verurteilt wurde. Der Interna- tionale Gerichtshof trat am 18. Oktober 1945 in Berlin zur Eröffnungssitzung zusammen, die Verhandlungen begannen am 20. November 1945 in Nürnberg. Die Bezeichnung "Militär-tribunal" könnte zur irrigen Annahme verleiten, dem Gericht habe es an Fachkompetenz ermangelt. Aber Richter wie Ankläger waren erstklassige Juristen aus vier Nationen. Angeklagt waren 24 Personen und sechs Kollek- tive, die im Sinne der Anklage als "verbrecherische Organi- sationen" definiert waren: deutsche Reichsregierung, NSDAP, SS, Geheime Staats- polizei, SA, Generalstab und Oberkommando der Wehr- macht. Für diese Organisa- tionen saßen die Angeklagten auch stellvertretend auf der Anklagebank. Es waren aber statt der 24 Angeklagten nur 21 Männer, die an 218 Prozesstagen bis zum Urteilsspruch am 1. Oktober 1946 im Nürnberger Gerichtssaal zur Verantwortung gezogen werden konnten. Einer, der Reichsorganisations-
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