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2. Weltkrieg
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Grabenkämpfe


In der Nacht kam unser Stoßzug und das ganze 3. Bataillon zum Einsatz. Mehr Reserve war nicht mehr vorhanden. Unser Zug übernahm die Sicherung des Ortes Kruszewo. Auf der linken Seite bestand überhaupt keine zusammenhängende Verbindung, rechts sollten unsere Kompanien sein. Alles sehr fraglich! Gegen Mitternacht setzte vor dem Dorf eine mächtige Knallerei eines unserer schweren Maschinengewehre ein. Es konnte sich aber nicht halten und kam auf unsere Linie zurück.
Im Schein einer Leuchtkugel sah ich, wie sich die Russen im Schutze der Häuser weiter vorarbeiteten. Gurt auf Gurt jagte ich jetzt mit meinem MG ziellos in die Häuserreihen. Zwei Häuser brannten lichterloh. Im Feuerschein zogen sich die Angreifer unter starken Verlusten zurück. Der erste Angriff war abgeschlagen. In einigen Häusern setzte er sich zwar noch fest, wurde aber vom Stoßzug ganz hinausgeworfen.
In der Morgendämmerung hörte ich kurze, aber harte Abschüsse und Granateinschläge ganz in unserer Nähe. Da sah ich auch schon, wie sich fünf dunckle Panzerschatten näher heranschoben. Keine Pak (Panzerabwehrkanone) war da, keine Ari (Artillerie) schoss, keine Panzerfaust, nichts hatten wir. Was wollten wir gegen diese Stahlkästen ausrichten? Keiner wusste mehr, wo vorne und hinten war. Also ging`s zurück bis an den Fluss, der auch in den "Leg" floss. Von Kameraden erfuhren wir, dass Oberfeldwebel Ortel gefallen war und es fünf Verwundete gegeben hatte.
Was rechts und links von uns geschah, wie viele Verluste wir hatten, wussten wir nicht. Als wir den Fluss entlanggingen, sahen wir die Bereitstellungen unser eigenen Panzer der Division "Großdeutschland". Etwa 30 Panzer, 20 Sturmgeschütze, Selbstfahrlafetten und Schützenpanzerwagen warteten auf den nächsten Angriff am Morgen. Alles hielt sich in der großen Ebene am Kreuzberg und an dem Ort Kruszewo auf. Die Kameraden freuten sich beim Anblick von so vielen Panzern, aber als ich an Zambrow und die große Pleite mit 48 Panzern dachte, hielt sich die Freude bei mir in Grenzen.

Solche Panzerattrappen waren im Krieg beliebtes Mittel, um dem Feind Überlegenheit vorzutäuschen.Solche Panzerattrappen waren im Krieg beliebtes Mittel, um dem Feind Überlegenheit vorzutäuschen.

Panzer und Infanterie traten zum Gegenstoß an und kamen gut voran. Die Russen wichen ein großes Stück zurück. Doch dann setzte wieder dieses wahnsinnige Trommelfeuer ein. Obwohl sieben russische T 34 Panzer abgeschossen wurden, hatten wir kaum etwas erreicht. Wir blieben vor dem schicksalhaften Dorf Kruszewo hängen. Nachts bezogen wir neue Stellungen zwischen dem Ort und dem Kreuzberg. Wir gingen in einen von uns gebauten Erdlochbunker, den ein verwundeter russischer Soldat als letzte Zuflucht aufgesucht hatte. Er begrüßte uns mit "Sdrasdwutje" (Begrüßungswort) und ging hinkend nach draußen. Am nächsten Morgen sah ich ihn tot am Boden. Irgendeiner hatte dieses arme Schwein erschossen.
Russische Lautsprecher hatten in der Nacht die Vorzüge der russischen Gefangenschaft gepriesen. Aber da wollte von uns nun sicher keiner hin. In der Frühe ging das Trommelfeuer wieder los, russische Infanterie griff an. Panzer schoben sich vor. Der Russe musste Unmengen Geschütze, Panzer und Soldaten in Reserve gehabt haben. Ich schoss was meine MG hergab und hatte große Angst. Wir konnten uns nicht halten und mussten uns über ein freie Fläche zurückziehen. Eine Panzergranate flog an mir vorbei und riss meinem Kameraden Seitz aus Kleve glatt das rechte Bein ab. Er war mit mir im August 1944 bei Zambrow verwundet worden und erst vor wenigen Tagen nach einem geheilten Bauschuss zu uns gekommen. Ich schrie noch einigen Gewehrschützen zu: "Nehmt ihn mit, lasst ihn nicht liegen". Doch als wir später in der neuen Auffangstellung kamen, war er nicht mit dabei. Einer hatte versucht ihn allein zu tragen, musste dies aber bald aufgeben. So war sich jeder selbst der Nächste, und eine Frau mit zwei Kindern sah ihren Mann nie wieder.
Am Abend wollte ich mit meinen Kameraden nochmal nach vorn, aber alles war schon vom Russen besetzt. In dem ausgebauten Grabensystem richteten wir uns zur Verteidigung ein. Die Glieder waren durch die Kälte erstarrt, die Augen konnte man vor Müdigkeit kaum aufhalten, Hunger war durch die starke seelische Beanspruchung nicht zu spüren. Wenn wir mal etwas Suppe zu essen bekamen, war sie meistens sauer, und den Durst löschten wir mit Schnee.
Am Abend besorgte ich von einem naheliegenden Gehöft etwas Stroh. Unterwegs dorthin musste ich ein paar Mal wegen einschlagender Granaten Deckung nehmen. Herbert, mein Schütze II, übernahm die erste Wache. Übermüdet sank ich auf mein Stohbett und schlief augenblicklich ein. Eine Stunde musste ich wohl geschlafen haben, als ich geweckt wurde. Herbert erzählte mir, in einer halben Stunde sei Absetzen. Ich war demoralisiert dadurch, dass die Front doch nicht gehalten hatte. Ich fragte mich, ob es überhaupt noch einen Zusammenhalt der Front gab? Wir marschierten auf unbekannten Wegen und verließen das Kreuzbergtal, nicht ahnend, wie viele schreckliche Erlebnisse uns noch bevorstehen sollten.

Aus: Jürgen Klosa, "Eine Generation verabschiedet sich", Übach-Palenberg, 2004.
ISBN: 3-00-014237-1

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