Grabenkämpfe
Rückzug in der Kälte"Es war der 18.01.1945, die ganze Nacht marschierten wir auf unbekannten Wegen gen Norden. Wir kamen an Krasnosielk vorbei und sahen, wie es lichterloh brannte. Plötzlich ein starkes Motorengeräusch. Schlachtflieger griffen die mit Soldaten und Fahrzeugen vollgestopfte Straße an. Bordwaffengeschosse und Bomben prasselten auf uns hernieder, Granatsplitter flogen durch die Luft. Verwundete schrie auf. Schnell war der ganze Spuck vorbei. Bei der 9. Kompanie war der ganze Führungsstab ausgefallen, entweder tot oder verwundet. Am Nachmittag lag das Gelände um Krasnosielk unter starkem Artilleriebeschuss. Unheimlich schnell musste der Russe, nachdem wir das Kreuzbergtal verlassen hatten, nachgestoßen sein. Die Kompanien unserer Einheit bezogen mal wieder eine sogenannte Auffangstellung. Wir saßen machtlos da und warteten auf Befehle. War überhaupt noch ein Bataillons-Gefechtsstand da? Plötzlich fiel ein Landser in einen Graben und schrie: "Los raus, der Russe ist da". Alles haute ab, keiner wusste mehr wo vorne und hinten war. Ein Zusammenhalt der Front bestand nicht mehr. Wir ahnten nicht, dass Willenberg und Ortelsburg schon gefallen waren. Zum Rückzug blieb uns nur noch einer kleiner Schlauch offen. Wieder mussten wir durch starkes Artillerie- und MG-Feuer um unser bisschen Leben laufen. Die Splitterwirkung der Granaten war durch den hart gefrorenen Boden verheerend. Die Außentemperatur lag bei 25 Grad Minus. Was war hier überhaupt noch ein Menschenleben wert? Wahrscheinlich nicht mehr als ein Insekt, das man zertrat. Herbert, mein Schütze II, brach zusammen. Ein Granatsplitter hatte seinen Oberschenkel durchschlagen, ein anderer Soldat erhielt einen Beindurchschuss. Wir konnten sie beide noch zurückschaffen. Dieses Trommelfeuer war der helle Wahnsinn. Sechs Mann waren wir noch von unserer Kompanie. Keiner wusste, wo die Einheit mit dem Tross lag. Russische Schlachtflieger flogen mit modernsten, neuen englischen und amerikanischen Maschinen pausenlos über uns hinweg; eine Flakabwehr gab es nicht mehr. Wütend warf ich mein MG in eine Astgabel und jagte einen Gurt hinter einen allzu frechen Maschine her. Eigentlich zwecklos, denn nur durch einen Zufall hätte ich sie treffen können. Wieder überkam mich ein Gefühl der Machtlosigkeit. Warum waren keine deutschen Jagdflugzeuge da? Endlich fanden wir in einem versteckten Dorf unseren Tross. Wir empfingen Munition und MG-Ersatzteile, bekamen etwas zu essen und gingen am 20.01.1945 wieder vor. Was jetzt vorne los war, wusste keiner; es knallte an allen Ecken und Enden, überall brannten Häuser und Scheunen. Wir hielten ein Forsthaus besetzt und bildeten eine Igelstellung. Doch wo hatte man uns hingestellt? Eine Waldschneise, nur Bäume, keine 20 Meter Blickfeld. Wer hatte so etwas Hirnverbranntes befohlen? Die anderen Einheiten hatten sich in der Nacht abgesetzt; wir sollten hier die Russen erwarten und aufhalten. Ein Spähtrupp wurde ausgeschickt. Er stellte fest, dass das Gelände noch etwa 500 vor uns feindfrei war. Etwa zwei Stunden warteten wir vergebens auf einen Angriff der Russen. Plötzlich auf der rechten Seite eine mächtige Knallerei. Handgranaten wurden geworfen, man hörte das langsame Knattern der russischen MGs, Geschosse pfiffen an uns vorbei. Mein MG konnte ich in dem hohen Schnee nicht richtig in Stellung bringen. Kämpfens zogen wir uns zurück, nur raus aus diesem elenden, unübersichtlichen Wald. Sofort hatte der Russe Pakgeschütze - wir nannten sie "Ratsch-Bum" (Abschuss und Einschlag war nur ein Knall) in Stellung gebracht und jagte Granate auf Granate hinter uns her. Man musste den Russen bewundern, wie schnell er bei dem Schnee seine schweren Waffen nachzog. | | | Eine sogenannte "Rollbahn" (Matsch-Strasse) in Russland.
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Der Wald hörte nach etwa zwei Kilometern auf, man sah nur noch freies Gelände. Warum konnten wir hier nicht in Stellung gegangen sein? Viele Opfer wären uns erspart geblieben. Wir hatten bei den Kämpfen um dieses Forsthaus 11 Tote, 30 Verwundete und eine nicht feststellbare Anzahl von Vermissten. Diese Art von Kriegsführung konnten wir nicht verstehen. Ein Kamerad aus dem schönen Städtchen Kleve am Niederrhein kehrte nicht mehr zurück. Er gehörte zu den Vermissten, die wohl nie mehr ihre Heimat wiedersehen sollten. Ich dachte, wann wird mich wohl endlich der Teufel holen? Bei soviel Remmidemmi hält`s doch keiner lange aus.
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