|
|
Seite | | | 4 | | |
|
|
|
|
|
|
Grabenkämpfe
Am Abend, nachdem unser nur noch 12 Mann starke Stoßzug einen Stützpunkt besetzt hielt, kam der Befehl zum Absetzen. Wir sollten uns auf eine gut ausgebaute Linie, 33 km vor der deutschen Reichgrenze zurückziehen und die "Stellung" endgültig halten. 20 km schleiften wir in der Nacht unsere übermüdeten Körper bis zur neuen Linie, die an einem zugefrorenen Fluss lag. Wir erhielten saures und eiskaltes Essen. Das gefrorene Brot bewirkte Leibschmerzen. Die allgemeine Stimmung sank auf den Nullpunkt. Mein neuer Kamerad Eugen Wende hatte noch den meisten Humor; er lachte und witzelte immer wieder. Von diesem Tag an sah man drei Soldatenfreunde stetig zusammen, Eugen Wende, Otto Walbersdorf, den wir scherzweise "Oma" nannten, und mich. Unsere Hoffnung auf etwas Ruhe und Schlaf wurde durch einen Befehl zunichte gemacht. Der Stoßzug hatte jetzt die unangenehme Aufgabe, die Nachhut zu bilden. Den Russen sollten wir 500 m vor einem Fluss erwarten, anschießen und uns dann auf die eigentliche Hauptkampflinie (HKL) zurückziehen. Da der Feind in der Nacht sowieso nicht zu erwarten war, stellten wir einen Posten auf und legten uns hundemüde in den Straßengraben. Kälte und Schnee spürten wir nicht mehr. Der Morgen kam. Krachend, mit gewaltigem Getöse flog hinter uns die Brücke in die Luft. Wir sollten uns später über den zugefrorenen Fluss zurückziehen. Den ganzen Morgen erwarteten wir vergebens den Feind. Gegen Mittag kamen uns auf der geteerten Straße zwei Soldaten in weißen Tarnanzügen entgegen. Sie machten den Eindruck totaler Betrunkenheit. "Oma" Walbersdorf meinte, die sähen ja wie Deutsche aus. "Quatsch", brüllte ich, griff zum erstbesten Gewehr, nahm einen aufs Korn und drückte ab. Ich sah noch, dass er zusammenbrach und sich in den Straßengraben rollte. Jetzt wurden wir sofort von russischen MPi`s begrüßt. Ich sprang hinter mein Maschinengewehr und hielt die Russen mit einigen Feuerstößen in Schacht. Wir zogen uns über den Fluss am Uferhang zurück. Zwei Mann von unserer Truppe kamen der Sprengstelle zu nahe und brachen ein. Unter starkem Beschuss zogen wir die beiden, ohne eigene Verluste wieder raus. Sofort hatte der Russen Pakgeschütze und Granatwerfer in Stellung gebracht, und belegte unser Wäldchen mit Granaten. Ein Kamerad fiel, ein anderer wurde verwundet. Nachts wurde unsere kleine Gruppe als Reservegruppe einer fremden Kompanie zugeteilt. Gott sei Dank konnten wir schlafen. Doch was war mit mir los? Meine ganze Sicherheit hatte mich verlassen. Ich war unruhig, fand keinen Schlaf. Ich bildete mir ein, morgen bist du dran, morgen holt dich der Teufel. Doch jagte ich die schlimmen Gedanken fort und zwang mich zur Ruhe. Wenn`s mich bei Zambrow im wahnsinnigsten Trommelfeuer nicht erwischt hatte, würde wohl auch hier alles gut gehen. Endlich war die Nacht mit den quälenden Gedanken vorbei. Schon sehr früh deckte der "Iwan" das Gelände mit Pak und Granatwerfer ein. Gegen 9 Uhr kam plötzlich der Befehl: "Alles sofort absetzen und so ungesehen wie möglich!" Ich musste an die dummen Gedanken der Nacht denken. Einzeln sprangen wir über die Straße, die vom Feind eingesehen werden konnte. Vereinzelt schlugen Granaten ein, doch das störte wenig. Andere Gruppen von der linken Seite kamen uns entgegen, alles lief auf einen Haufen zusammen. Auf meine Ermahnung, doch auseinander zu gehen, hörte man nicht. Die Landser waren stur. Ich ging nach rechts von dem Haufen weg, damit nicht durch mögliche Granatentreffer gleich eine große Anzahl von Leuten ausfiel. Etwa 20 Meter war ich von meinen Kameraden entfernt, als 8 m neben mir eine Granate einschlug. Ich spürte einen Schlag und Schmerzen am rechten Oberarm. Warmes Blut lief herunter. Durch den Schock fing ich an zu laufen und war bald wieder bei meinen Kameraden. Also hatte ich doch etwas geahnt; die Besorgnisse der letzten Nacht waren kein Trug gewesen. Ich war froh für diese leichte Verwundung, weil ich dadurch einige Tage von dem Kampfgetümmel Pause machen konnte. Nach etwa drei Kilometern Marsch passierte ich die deutsche Reichsgrenze nach Ostpreußen. Es muss wohl zwischen den Städten Allenstein, Ortelsburg in Richtung Bischofsburg, Heilsberg entlang der heutigen polnischen Nationalstraße Nr. 599 gewesen sein. Der Fluss mit der gesprengten Brücke musste "Omulew" heißen. Mit einem Panzerfahrzeug fuhr man mich zum Hauptverbandsplatz, den ich am Abend erreichte. Nach einer kurzen Untersuchung wurde der Verband erneuert. Ich erhielt eine Tetanusspritze und zehn Tage Ruhe beim Tross. Mehr war auch wohl im Hinblick auf die allgemeine Lage nicht zu erwarten. Drei Tage irrte ich daraufhin umher und fand endlich unseren Tross. Kanonendonner und Geschützfeuer begleitete uns von allen Seiten. Der Russe nahm uns in die Zange. Ich erlebte jetzt hier beim Rückzug die großen Leiden der Zivilbevölkerung. Unvorstellbar, was sie bei Kälte und Schnee erleiden mussten. Alles floh vor den Russen mit Pferdefuhrwerken, Handwagen, zu Fuß oder mit Schlitten. Was später zu schwer wurde, landete in Straßengraben. Das wir dies alles unserem "heißgeliebten Führer" zu verdanken hatten, konnten oder wollten wir damals nicht glauben. Zu essen hatten wir in diesem Dilemma reichlich. Unglaublich was die Bevölkerung an Nahrungsmitteln zurücklassen musste. Die Straßen und Rollbahnen waren vollgestopft waren vollgestopft mit Flüchtlingstrecks. Tag und Nacht ging die Fahrt immer nordwärts, dem - so glaubte man - rettenden Meer entgegen. Am 03.02.1945 ging ich in der Nacht wieder vor zu meinen Kameraden. Die Trossleute hatten mir ein nagelneues Sturmgewehr geschenkt. Ein kleines handliches MG, für das ich keine Munitionsträger mehr brauchte. Die Wiedersehensfreude meiner Kameraden, besonders bei Eugen Wende und "Oma" Walbersdorf, war groß. Sie empfingen mich mit einer Flasche Schnaps. Ich ließ mich nicht nötigen und trank etwas mehr als einen Schluck. Weiß der Teufel, wo sie das Zeug her hatten, aber verdammt gut war es schon.
|
|
|
|
|
Seite | | | 4 | | |
|
|
|