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Buchauszug
Rainer Hofer: »Ich bin heute also entsetzt, wie ich damals geschrieben habe. Also was, was, was (lacht) mir heute gar nicht mehr in den Kopf rein will. Ich habe denn also/äh wir haben also auf der Gegenseite natürlich auch Russinnen in Uniform und mit Gewehr und bewaffnet (Ja) gesehen und eine hab', also nun stellen Sie sich mal vor, mit (klopft auf den Tisch) 18 Jahren, hab' ich äh äh zusammengeschossen mit meinem MG und und schreib' denn also ganz stolz, äh der der Kopf und und die Brust waren nur noch ein blutiger Klumpen oder sowas (Mhm). Heute wundert man sich, wie man das damals schreiben konnte.«Wohlgemerkt: Anlass zu wundern gibt nicht, wie man das tun, sondern wie man darüber schreiben konnte - ein Hinweis auf die subjektive Bewertung der Tat, die uns noch beschäftigen wird. Hier bleibt anzumerken, dass es recht ungewöhnlich ist, dass solche Dokumente im Familienarchiv aufbewahrt bleiben und den Kindern bekannt sind. Gewöhnlich wird allenfalls in ziemlich nebulöser Form davon gesprochen, »dass da irgendetwas war« - was den Zuhörerinnen und Zuhörern, wie im vorangegangenen Kapitel ausgeführt, die Möglichkeit eröffnet, sich jenen Reim auf die wie verwischt dargestellten Ereignisse zu machen, der sie am besten mit dem zentralen Konflikt deutscher Familiengeschichten ein halbes Jahrhundert nach dem »Dritten Reich« leben lässt: mit dem Konflikt nämlich, der daraus resultiert, dass die Angehörigen der Kinder- und noch mehr der Enkelgenerationen einerseits den verbrecherischen Charakter des Nationalsozialismus und die Tatsache des Holocaust umstandslos anerkennen, andererseits aber ihre eigenen Eltern bzw. Großeltern so positionieren, dass von diesem Grauen kein Schatten auf sie fällt. Das ist keine leichte Aufgabe, zumal wenn, wie im Fall von Rainer Hofer, die Verbrechen auch noch schriftlich fixiert sind. Regina Seiler, seine Tochter, kennt diese Briefe, aber überraschenderweise betont sie im Einzelinterview wie im Familiengespräch mehrfach, wie sehr ihr daran liegt, »herauszubekommen, was die Leute damals gedacht« haben: Regina Seiler: »Ich mein' äh ich/ich kann mir einfach vom deutschen Volk es nicht vorstellen, selbst so mein Vater oder sowas, die/ich glaube wirklich, die konnten sich das nicht vorstellen, dass sowas überhaupt passiert.« Und obwohl Frau Seiler, wenn auch in euphemistischer Weise, im Interview auf den erwähnten Brief Bezug nimmt (»und da schrieb er an sein Elternhaus im Krieg, äh, dass sie gerade in ein russisches Dorf eingefallen sind, er war damals 16 oder 18,das weiß ich jetzt nicht genau, und mich hat so erschüttert, wie äh euphorisch er davon gesprochen hat«), beschäftigt sie das ganze Interview hindurch die Frage, ob sich denn die Deutschen nicht haben »vorstellen« können, dass so etwas wie der Vernichtungskrieg und der Holocaust geschähen. Wie ist diese Frage motiviert, die doch ganz offenbar von der Tatsache absieht, dass ihr Vater sich die Verbrechen keineswegs vorzustellen brauchte, da er sie doch selbst begangen hatte? Nun: Erstens hat die Frage, ob der Vater sich wohl hat vorstellen können, was geschah, die Funktion, ihn aus dem Kreis der Täter hinauszumanövrieren in den weit unverdächtigeren Kreis von zufälligen Zeugen oder bestenfalls Mitläufern - denn vorzustellen hat man sich ja nur das, was andere tun und wovon man nur von ferne Kenntnis hat. Zweitens argumentiert Frau Seiler - und zwar in ganz ähnlicher Weise wie ihr Vater - im Rahmen einer Doppelstruktur von Wissen und Nichtwissen: Die Verbrechen hat es ganz unzweifelhaft gegeben, aber niemand hat sie sich vorstellen können. Ihr eigener Vater war daran beteiligt, aber die Tochter nimmt das nicht zur Kenntnis.
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