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Die 68er-Bewegung und ihre Folgen |
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Buchauszug
Eine mobilisierende Funktion für den studentischen Protest hatten aber auch Forderungen nach einer Hochschulreform. Sie erhielten erheblichen Auftrieb, als der Pädagoge Georg Picht 1964 in einer viel beachteten Artikelserie vor einer «deutschen Bildungskatastrophe» warnte und damit eine republikweite Diskussion auslöste, die zu einer Sensibilisierung gegenüber den Problemen im deutschen Bildungswesen führte. Nachdem sich die Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien am 21. Mai 1965 über eine Grundgesetzänderung zum Notstandsrecht geeinigt hatten und die Vorbereitung einer gemeinsamen Gesetzesinitiative in ein konkretes Stadium trat, kam mit dem Kampf gegen die Notstandsgesetze ein weiteres zentrales Thema hinzu, das mehr als drei Jahre lang - bis zur Verabschiedung der Gesetze am 30. Mai 1968 - die Aktionen der Studentenbewegung prägen sollte. Nach der Bildung der Großen Koalition in Bonn am 1. Dezember 1966 schienen zudem durch die Dezimierung der Opposition im Bundestag die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie außer Kraft gesetzt, so dass viele eine «Außerparlamentarische Opposition» (APO) für notwendig hielten, um die Regierung wenigstens von außen zu kontrollieren. Da überdies, wie allgemein bekannt war, der neue Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger der NSDAP angehört hatte, Bundespräsident Heinrich Lübke angeblich als Architekt beim Bau von Konzentrationslagern mitgewirkt hatte und schließlich die rechtsradikale Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 1966 in die Landtage von Hessen und Bayern einzog, schienen sich die Analysen der linken Studenten - insbesondere des SDS - über einen neuen deutschen «Faschismus» zu bestätigen. Die Forderungen nach einer demokratischen Hochschulreform und der Widerstand gegen den Vietnam-Krieg sowie die Notstandsgesetze verschmolzen nun mit der Kritik an der nationalsozialistischen Vergangenheit der Elterngeneration und der Auflehnung gegen ein Wiederaufleben totalitärer Bestrebungen. Beispiele für die Parallelität der Aktionen gegen den Vietnam-Krieg und die Notstandsgesetze waren der in verschiedenen Arbeitskreisen des SDS lange vorbereitete Kongress «Vietnam - Analyse eines Exempels» im Mai 1966 in der Frankfurter Universität sowie der am 30. Oktober 1966 ebenfalls in Frankfurt abgehaltene Kongress «Notstand der Demokratie». Beim Vietnam-Kongress hielt Herbert Marcuse vor über 2000 ausgewählten Studenten, Professoren und Gewerkschaftlern aus ganz Europa das Hauptreferat. Beim Notstands-Kongress, der von der IG-Metall finanziert und vom Bundesvorsitzenden des SDS, Helmut Schauer, organisiert wurde, diskutierten in sechs Foren mehr als 5 000 Gewerkschaftler, SPD-Mitglieder, Studenten, Assistenten und Professoren über die Notstandsgesetze und die Demokratie in der Bundesrepublik. Die Politisierung, aber auch die begriffliche Präzisierung der Aktionen wurden hier entscheidend vorangetrieben. Erst jetzt wurde aus der gegenkulturellen, antiautoritären Protestbewegung der frühen sechziger Jahre eine politisch-ideologische Kraft, die unmittelbar die Entwicklung von Staat und Gesellschaft beeinflussen wollte. Vor diesem Hintergrund verwunderte es auch nicht, dass die Mitglieder der am 1. Januar 1967 gegründeten Kommune I, wie Fritz Teufel, Rainer Langhans und Dieter Kunzelmann, die mit ihren Aktionsformen der Happenings und phantastischen Verkleidungen bei gleichzeitiger Vermeidung physischer Gewalt zeitweilig erheblichen Einfluss auf den Berliner SDS gewonnen hatten, am 3. Mai 1967 wegen «falscher Unmittelbarkeit» (Dieter Kunzelmann: «Was geht mich Vietnam an - ich habe Orgasmusschwierigkeiten») und eines die Hochschularbeit des SDS unterminierenden anarchistischen Aktionismus aus dem Berliner Landesverband und dem Bundesverband des SDS ausgeschlossen wurden. Der Ulk als Mittel der Politik hatte ausgedient oder erschien zumindest nicht mehr angemessen. Wie ernst es inzwischen tatsächlich geworden war, zeigte sich am 2. Juni 1967, als während einer Demonstration gegen den Besuch des Schah von Persien vor der Deutschen Oper in Berlin der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde. Danach eskalierten die Proteste in der ganzen Bundesrepublik auf eine vorher nicht gekannte Weise. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Heinrich Albertz, und Polizeichef Duensing wurden zum Rücktritt gezwungen. Rudi Dutschke rief zu einer «Anti-Springer-Kampagne» auf, weil die Presse des Axel Springer Verlages, zu dem unter anderem die Bild-Zeitung, die BZ und die Berliner Morgenpost gehörten, seiner Meinung nach entscheidend zur Aufheizung des politischen Klimas in der Stadt beigetragen hatte. Und in der FU wurde am 1. November 1967 die «Kritische Universität» gegründet, um eine «Gegenmacht» zum herrschenden Wissenschaftsbetrieb aufzubauen. Die dadurch erzeugte Atmosphäre ist heute kaum noch nachvollziehbar. Tatsächlich dachten beide Seiten - die Studenten auf der einen, die Berliner Öffentlichkeit, der Senat und die Presse auf der anderen - gar nicht daran, nachzugeben oder auch nur zur Mäßigung zu mahnen. So fand am 17./18. Februar 1968 ein weiterer «Internationaler Vietnam-Kongress» statt, bei dessen Abschlussdemonstration etwa 10 000 Teilnehmer unter Mao-, Ho Tschi-minh- und Che Guevara-Plakaten durch die Berliner Innenstadt marschierten. Nur drei Tage später antwortete der Senat mit einer Gegenkundgebung unter dem Motto «Berlin darf nicht Saigon werden». Sie richtete sich nicht nur sachlich gegen die Kritik an der amerikanischen Vietnam-Politik, sondern ließ in Verbindung mit der Presseberichterstattung die Wogen der Erregung so sehr hochgehen, dass der Gelegenheitsarbeiter Josef Bachmann schließlich am Gründonnerstag, den 11. April 1968, zur Waffe griff und Rudi Dutschke mitten auf dem Kurfürstendamm niederschoss.
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