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Die 68er-Bewegung und ihre Folgen |
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Buchauszug
Unmittelbar nach der Trennung von der SPD begann der SDS an fast allen Universitäten damit, autonome sozialistische Arbeitskreise aufzubauen, in denen Studenten die Gelegenheit erhielten, sich systematisch die Texte des Marxismus und der Kritischen Theorie anzueignen. Anknüpfend an die sozialistischen Klassiker sollte ein neues, der aktuellen Situation angemessenes Verhältnis sozialistischer Theorie und Praxis entwickelt werden. Dabei wurde auf Distanz sowohl zu traditionalistischen KPD-Positionen als auch zur pragmatischen Haltung der SPD geachtet. Mit der Theorie des «autoritären Staates» (Max Horkheimer) und der «eindimensionalen Gesellschaft» (Herbert Marcuse) meinte man, das ideologische und begriffliche Instrumentarium gefunden zu haben, um die Entwicklung einer sich «formierenden», etatistisch integrierten spätkapitalistischen Gesellschaft zu beschreiben. Als «revolutionäre Subjekte» wurden vor allem Randgruppen der Gesellschaft, aber auch die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt benannt, während die «sozialistische Intelligenz» - also die linke Studentenschaft - sich selbst als revolutionäre Avantgarde betrachtete. Der Berliner Politikwissenschaftler Richard Löwenthal, der in den zwanziger und dreißiger Jahren Mitglied einer sozialistischen Studentengruppe gewesen und während des Dritten Reiches nach einigen Jahren im Untergrund zur Emigration nach Großbritannien gezwungen gewesen war, sah darin einen «romantischen Rückfall» hinter die «Errungenschaften der ersten Nachkriegsgeneration — das individuelle Verantwortungsbewusstsein, die nüchterne Selbstbemühtheit, die Toleranz und den Respekt vor der Person». Mit der erneuten Anfälligkeit für geschichtsphilosophische Gesamtlösungen, so warnte Löwenthal, trete «eine neue Intoleranz auf, ein Mangel an Bereitschaft, die eigenen Thesen in freier Diskussion zu überprüfen». Damit verbunden sei zugleich «eine erneute Ablehnung der wesentlichen Institutionen des Westens, des liberalen Staates, der repräsentativen Demokratie». Positiver wurde die Entwicklung von Ulrich Lohmar eingeschätzt, wie Löwenthal ebenfalls einer der ideologischen «Vordenker» der SPD, der 1968 schrieb, die «Neue Linke» fordere «zu einer kritischen Überprüfung unserer Vorstellungen von der Industriegesellschaft, der Demokratie und der Wissenschaft heraus». Weder die spätere Radikalisierung der Aktionen noch deren politische Implikationen waren zu dieser Zeit allerdings bereits absehbar. Auch die Rolle des SDS, der seit 1961 an den Universitäten eher ein Rand- und Schattendasein geführt hatte, lag noch weitgehend im Dunkeln. So verliefen die ersten politischen Demonstrationen im Dezember 1964 gegen den Besuch des kongolesischen Präsidenten Moise Tschombe in West-Berlin und im März 1965 gegen eine Werbewoche der Republik Südafrika durchaus diszipliniert und unspektakulär. Die universitären Proteste selbst begannen am 7. Mai 1965 mit einer Demonstration von einigen hundert Studenten an der Freien Universität Berlin, wo Rektor Hans-Joachim Lieber zuvor ein Hausverbot gegen den Publizisten Erich Kuby verhängt hatte, um dessen Teilnahme an einer Podiumsdiskussion des AStA aus Anlass des 20. Jahrestages der Niederlage des Nationalsozialismus zu verhindern. Kuby hatte nach Meinung Liebers 1958 die FU verunglimpft, als er deren Namensgebung «Freie Universität» mit der Bemerkung kritisiert hatte, die «innere antithetische Bindung an die andere, an die unfreie Universität jenseits des Brandenburger Tores» sei «mit den wissenschaftlichen und pädagogischen Aufgaben einer Universität schlechthin unvereinbar». Zum ersten Mal wurden nun neue Demonstrationstechniken, wie «Sit-ins», «Go-ins» und das Prinzip der «begrenzten Regelverletzung», erprobt, die sich an entsprechende Vorbilder bei den Studentenunruhen im kalifornischen Berkeley seit Ende 1964 anlehnten. Doch erst als der Vietnam-Krieg, an dem sich in den USA schon seit langem die Geister schieden, Ende 1965 auch in der Bundesrepublik in das Zentrum der studentischen Proteste rückte, gewann die Bewegung an Auftrieb. So kam es am 5. Februar 1966 ungeachtet aller Solidaritätsbekundungen von offizieller und privater Seite zu einer ersten großen Demonstration gegen die amerikanische Beteiligung am Vietnam-Krieg, bei der die Teilnehmer durch einen Sitzstreik auf dem Kurfürstendamm in Berlin den Verkehr für zwanzig Minuten blockierten und Eier gegen die Fassade des Amerika-Hauses am Bahnhof Zoo schleuderten. «Beschämend! Undenkbar!», «Die Narren von West-Berlin», «... eine Schande für unser Berlin» - so oder ähnlich lauteten am folgenden Tag die Schlagzeilen der Berliner Presse. In der «Frontstadt Berlin», wo die Identifikation mit der «Schutzmacht USA» größer war als an anderen Orten, erschien die Verurteilung des amerikanischen Verhaltens in Vietnam besonders unangemessen. Irritierend wirkten nicht nur die Proteste an sich, sondern auch die Tatsache, dass sie mit einer unkritischen Glorifizierung des chinesischen und vietnamesischen Kommunismus und ihrer Führer Mao Tse-tung und Ho Tschi-minh sowie einer beinahe kultischen Verehrung Ernesto Che Guevaras als Symbolfigur des Guerillakampfes in der Dritten Welt einhergingen.
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