1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Opposition in der DDR
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Buchauszug
Ballade von den verdorbenen Greisen


Hey Krenz, du fröhlicher Kalter Krieger
Ich glaube dir nichts, kein einziges Wort
Du hast ja die Panzer in Peking bejubelt
Ich sah Dein Gebiß beim Massenmord
Dein falsches Lachen, aus dir macht Fritz Cremer
Ein Monument für die Heuchelei
Du bist unsre Stasi-Metastase
Am kranken Körper der Staatspartei

Wir wolln dich doch nicht ins Verderben stürzen
du bist schon verdorben genug
Nicht Rache, nein Rente!
im Wandlitzer Ghetto
und Friede deinem letzten Atemzug ...


Als ich in dieser Leipziger Messehalle II meine Lieder sang, da zitterten die Menschen dreifach: vor Freude, vor Angst und vor Kälte. Es herrschten unter dem hohen flachen Dach an diesem Tag nämlich fünf Grad Celsius unter Null. Und es herrschte im Bezirk Leipzig unterm Himmel über dem verrotteten Leuna-Chemie-Giganten Smogalarm Stufe III. Ansonsten klammerte sich noch Honeckers Kreatur Krenz und mit ihm die Wandlitzer Winzclique an die Macht, die verdorbenen Greise im Politbüro der SED warn offensichtlich durchn Wind - verlassen nicht nur von allen guten Geistern, sondern noch schlimmer: von Gorbatschow.
Dennoch nicht zu vergessen: Die drei Waffen der Partei: MfS und NVA und Volkspolizei waren noch voll in Funktion.
Deswegen hatten wir alle die begründete Angst, daß der China-Fan Egon Krenz und seine Genossen aus Panik doch noch die blutige, die gepriesene Pekinger Lösung an uns ausprobieren. Da hätten dann die Panzer in der Heldenstadt Leipzig aus Helden Hackfleisch gemacht und die Innenstadt in einen Platz des Himmlischen Friedens verwandelt.
Ach und widriger als solche Hauptsachen sind oft die Nebensächlichkeiten: ich krähte dort in eine von Bürgerrechtlern improvisierte grausam schwache Tonanlage. Es gab da keinen einzigen Stuhl, keine Bank und kein Nichts in dieser infernalisch halligen Halle, die ja normalerweise genutzt wurde für die Ausstellung von Flugzeugen, Baumaschinen und anderen industriellen Dinosauriern. Die Leipziger standen dicht an dicht auf dem ölverschmierten Betonboden, in Wintermäntel eingehüllt, der Sound war miserabel und trotz alledem, das versteht sich: Ich genoß in dieser stinkenden Tiefkühltruhe die heißeste und bittersüßeste Singerei meines Lebens — kein Triumph aber doch eine Genugtuung.
Voilá - schon laß ich mich treiben ins Erzählen und hinreißen ins Schwärmen und weiß doch: Heute soll nur vom Kölner Konzert die Rede sein. Dort war alles wie umgekehrt. Die Tonanlage perfekt, der letzte Zuhörer hundert Meter entfernt von der Bühne konnte mich hören, als säße er mit mir in der Küche der Chausseestraßenwohnung. Die Halle war beheizt, die Sitze bequem. Jung war ich, und das bedeutet: ich war noch der Alte. Ich verstand mich noch immer als den »wahren« Kommunisten gegen die »falschen«. Die haßgeliebte DDR war mir noch trotz all ihrer lebensbedrohlichen Krankheiten eine verbissene Hoffnung. Und dieses Hoffen hatte damals einen neumodischen Namen: Eurokommunismus.

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