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Buchauszug
Danach mussten alle Mitglieder der NSDAP, «die ihr aktiv und nicht nur nominell» angehört hatten, sowie Personen, «die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen», aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen entfernt werden. Im öffentlichen Bereich betraf dies jeden, der nicht nur «gewöhnliche Arbeit» in untergeordneter Stellung verrichtete. Einbezogen waren aber auch privatwirtschaftliche Unternehmen, Verlage, die Presse, der gesamte Erziehungsbereich und sogar Religionsgemeinschaften. Zugleich mit der Vereinheitlichung waren die USA bestrebt, die Entnazifizierungspraxis in deutsche Hände zu legen. Dazu wurde am 5. März 1946 für die US-Zone ein «Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus» erlassen, das auch als Test für die Demokratiefähigkeit der Deutschen angesehen wurde, wie die amerikanische Militärregierung bei der Einführung deutlich machte: «Sollte sich das Gesetz als ein Fehlschlag erweisen, so würde das bedeuten, dass das deutsche Volk noch nicht reif ist, die Scherben seiner politischen Vergangenheit selbst zu beseitigen.» Eigene «Befreiungsministerien» bei den Länderregierungen waren nun für die Durchführung der Entnazifizierung verantwortlich. Für die Verfahren selbst wurden in der US-Zone 545 Spruchkammern mit 22000 Mitgliedern eingerichtet. Grundlage der Überprüfung war ein Fragebogen mit 131 Fragen, den jeder Deutsche, der älter als 18 Jahre war, auszufüllen hatte. Von der Beantwortung und Überprüfung hing wesentlich die Einstufung als Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer oder Entlastete ab. Die Spruchkammern konnten Sühnemaßnahmen aller Art, zumeist mit finanziellen Auswirkungen, verhängen. Sie reichten von der Einweisung in ein Arbeitslager, der Einziehung des Vermögens, Arbeitsbeschränkung und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte (Aberkennung des Wahlrechts) bis zu Geldstrafen. Bereits bis zum Sommer 1946 gaben 1613 000 Personen einen Fragebogen bei den zuständigen Stellen der amerikanischen Militärregierung ab. 373 762 von ihnen verloren nach der Überprüfung ihren Arbeitsplatz. Verurteilte hatten allerdings das Recht, Berufung einzulegen, so dass die Verfahren sich nicht nur langwierig gestalteten, sondern oft auch unbefriedigend verliefen. Was sie politisch und moralisch bewirkten, insbesondere bei der Masse der «kleinen» Parteigenossen, blieb umstritten. Den Vorschriften des Gesetzes schlossen sich die beiden anderen westlichen Besatzungsmächte 1947 in ihrer Entnazifizierungspraxis an. Im Februar 1950 wurde die Entnazifizierung in Westdeutschland endgültig abgeschlossen. In der sowjetischen Besatzungszone war sie bereits im Februar 1948 für beendet erklärt worden. Hier schaltete man unter dem Deckmantel der «Entnazifizierung» allerdings nicht nur ehemalige Nazis, sondern auch politische Regimegegner aus und leitete zugleich eine umfassende gesellschaftliche Neuordnung mit der vollständigen Beschlagnahme des landwirtschaftlichen Großgrundbesitzes und Enteignungen im Bereich der Groß- und Mittelindustrie ein, die mit einem allgemein verstandenen «Antifaschismus» gerechtfertigt wurden. Ein besonderes Kapitel war die Verfolgung von Kriegsverbrechern, die sich der «Verschwörung gegen den Frieden», «Verbrechen gegen den Frieden», der Verletzung des Kriegsrechts und der Kriegsbräuche - also Kriegsverbrechen im engeren Sinne - bzw. Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hatten. Viele von ihnen waren in den Wirren des Kriegsendes untergetaucht und wurden nun von den Alliierten gesucht, um sie vor Gericht zu stellen. Zu ihrer Aburteilung wurde bereits am 8. August 1945 das internationale Militärtribunal in Nürnberg als Einrichtung der vier im Alliierten Kontrollrat vertretenen Mächte geschaffen. Zu Prozessen in nationaler Zuständigkeit kam es in der britischen, französischen und sowjetischen Zone sowie u. a. in Polen, Jugoslawien, Norwegen und den Niederlanden. Insgesamt wurden dabei im westlichen Teil Deutschlands - einschließlich der Urteile des Internationalen Militärgerichtshofes - 5 025 Personen verurteilt. Von 806 Todesurteilen wurden 486 vollstreckt. Die Zahl der Verfahren in der SBZ wird auf etwa 45 000 geschätzt. Die Gesamtzahl der im Ausland verurteilten NS-Verbrecher dürfte zwischen 50 000 und 60 000 liegen. Deutsche Gerichte, die seit Ende 1945 ihre Tätigkeit allmählich wieder aufnahmen, waren an der Verfolgung von Kriegsverbrechen und anderer politisch motivierter Straftaten aus der Zeit des Nationalsozialismus zunächst nicht beteiligt. Ihre Befugnisse, die nur schrittweise erweitert wurden, beschränkten sich anfangs auf einfache Straftaten, die von Deutschen an Deutschen oder Staatenlosen begangen worden waren. Erst mit dem «Überleitungsvertrag» von 1955 erhielt die Bundesrepublik die volle Gerichtshoheit, so dass nun auch deutsche Gerichte Kriegsverbrechen und andere politische Straftaten aus der Zeit des nationalsozialistischen Regimes verfolgen konnten. Das Aufspüren von Schuldigen und die Bemühungen um Sühne zogen sich noch über Jahrzehnte hin, wie die Tätigkeit der eigens für diese Zwecke eingerichteten Ludwigsburger Zentralstelle zeigt, die am 1. Dezember 1958 eröffnet wurde.Quelle: Kleine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Manfred Görtemaker ISBN: 3893314563 C.H. Beck, München 2002, 24,90 Euro
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