1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Nürnberger Prozesse
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Buchauszug
Das war unangenehm, weil als Gegenstand trocken. Doch ich hielt mich in den entscheidenden Punkten an das einschlägige Kapitel aus , halb aus taktischen Gründen, halb überzeugt, daß hier der Gewerkschaftsbewegung das richtige Schlußwort gesprochen werde.
Keiner in unserer Klasse hatte je gelesen. Auch ich hatte das Buch nur zitatweise benutzt. Wir wußten überhaupt nicht viel von der NS-Ideologie. Auch der Antisemitismus wurde uns mehr randweise, zum Beispiel über Richard Wagners Schrift in der Schule nahegebracht - und außerhalb der Schule durch die Aushängekästen des Stürmers eher fraglich gemacht. Denn hier war die Primitivität schon vom Niveau her beleidigend. Was uns dennoch zum Hinschauen reizte, war die pornographische Schlagseite des Blattes - eine Spezialität, die in diesem Staat sonst schwer zu haben war.
Auch mit der Rassenlehre war es nicht weit her. Im Biologieunterricht bekamen wir etwas über Hans F. K. Günthers Thesen zu hören. Rassetypen wurden erklärt. Für kurze Zeit war man geneigt, die unter uns zu beneiden. Aber es gab ja Entschädigungen für jeden. Ich zum Beispiel, nach Günther ein , war nicht zum Führen geboren, durfte mir jedoch Fähigkeiten im zweiten Glied zuschreiben, dazu Sprachbegabung und Musikalität - man konnte zufrieden sein. Und man nahm das alles ja auch höchstens momentan ernst.
Dennoch sind wir politisch programmiert worden: auf Befehl und Gehorsam, auf die soldatische des Jawohl-Sagens in strammer Haltung und auf den Denkverzicht, wenn das Reizwort fiel und von Deutschlands Ehre und Größe die Rede war.
An der Stirnwand der Aula, in der wir viele Führerreden als hörten, stand zu lesen:
Das war wie eine Stimme aus einer humaneren Welt. Wir prägten's uns ein, aber es hat uns nicht geprägt. Es hatte keinen Platz neben dem Führerwort, das uns damals so häufig begegnete:
Unsere Lehrer haben uns diese Sprache plausibel gemacht. Sie waren fast durchweg Frontkämpfer oder doch Soldaten des Ersten Weltkriegs, zum guten Teil über eine Schnellausbildung in ihren Beruf hineingeraten. Sie waren immer bereit, den Unterricht zu unterbrechen, wenn wir sie auf ihre Kriegserlebnisse brachten, und waren dann anhaltend gesprächig über Kampfszenen und Frontkameradschaft in Sieg und Niederlage. Es schien, als hätten sie in Friedenszeiten gar nicht gelebt.
Zur Pflichtlektüre im Deutschunterricht gehörte in großem Umfang Weltkriegsliteratur. Doch haben wir sie auch auf eigene Faust verschlungen. In der Regel waren es Bücher vom Schlage der oder . Hier triumphierte auch im Grauen der Materialschlacht die Frontkameradschaft, und wer starb, erhielt wenigstens noch das Eiserne Kreuz. Vereinzelt tauchten Variationen auf: der jugendbewegte Held als empfindsamer , auch der rücksichtslose Kämpfer gegen oder der menschenverachtende Ritter in technischer Rüstung, der Heros des 20. Jahrhunderts als Freibeuter-Aristokrat in . Die UFA-Filme, teils privat genossen, teils als Gemeinschaftsempfang statt des Schulunterrichts, taten ein übriges. Wir wurden so zwar nicht Nationalsozialisten, aber doch deren williges Kanonenfutter, präpariert für den Zweiten Weltkrieg.
Für Gegenstimmen blieb kein Raum. Ich hatte zum Beispiel in der häuslichen Bibliothek Remarques gefunden, das die Akzente ganz anders setzte. Ich schlug im Deutschunterricht vor, darüber zu sprechen. Aber der Lehrer umging das heikle Thema: Das lohne sich nicht. Das sei so, als habe jemand an einem Schwimmfest teilgenommen, wo vieles erfolgreich verläuft, ein paar Sportler aber beim Sprung vom Turm sich schwer verletzten. Und das allein schildere dann dieser Autor.
Diese Erklärung konnte natürlich nicht überzeugen. Aber ich habe auch nicht auf meinem Vorschlag beharrt. Denn längst waren wir alle, Lehrer wie Schüler, in den Sog der großen Erfolge des neuen Regimes hineingeraten. Uns imponierte der Machtzuwachs Deutschlands.
Besonders hinreißend war die Stimmung im März 1938. Ich stand vor dem Aushang der örtlichen Zeitung und las immer wieder die Meldung: Ein Herr neben mir sprach mich an: So empfand ich es auch. Wir lebten in einer großen Zeit, und ihr Schöpfer und Garant war Hitler. »


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Mitte März 1942 stand das nationalsozialistische Deutschland vor einem folgenschweren Angriff auf das polnische Judentum. Das Ausmaß der in den elf Monaten bis Mitte Februar 1943 folgenden Ereignisse sollen folgende hypothetische Überlegungen verdeutlichen. Hätte der Krieg im Juni 1941 geendet, würde das «Dritte Reich» heute vor allem mit der systematischen Ermordung von 70 000 bis
80 000 «Geisteskranken» in den Gaskammern der Euthanasieeinrichtungen und mit der Terrorherrschaft in Polen in Verbindung gebracht. Angesichts der Ermordung der polnischen Intelligenz sowie der Vertreibung Hunderttausender von Polen nach Osten wegen der «Germanisierung» der «angegliederten» Gebiete und angesichts der Verschleppung weiterer Hunderttausender von Polen nach Westen zur Zwangsarbeit in Deutschland würde das Leid der Juden - trotz aller Entbehrungen, Demütigungen und Ermordungen - gegenüber dem Schicksal der Polen nicht als etwas Einzigartiges oder Außergewöhnliches erscheinen. Hätte der Krieg im März 1942 geendet, wären trotz der halben Million Juden, die den ersten «Aktionen» der Einsatzgruppen zum Opfer gefallen waren, vor allem die zwei Millionen russischen Kriegsgefangenen in Erinnerung geblieben, die in den ersten neun Monaten des «Rußlandfeldzugs» umkamen, und auch die fast eine Million russischer Zivilisten, die in Leningrad verhungerten - ein Schicksal, das ihnen Hitler sogar noch für den Fall vorbestimmt hatte, daß sich die Stadt ergab. Im Frühjahr 1942 war nicht der Holocaust, sondern der Vernichtungskrieg in Rußland noch immer die berüchtigste historische «Leistung» des NS-Regimes.

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