1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
2. Weltkrieg
Seite 1 | 2 
Ein Volk von Opfern?
Seit Jahren hat keine historische Debatte die Öffentlichkeit so stark beschäftigt wie die Kontroverse um die Rolle der Deutschen als Opfer im zweiten Weltkrieg. Die Leiden der Vertreibungen und des Bombenkrieges sind erst seit kurzem Gegenstand einer öffentlichen Auseinandersetzung. Doch schon regt sich Widerstand: Waren denn nicht Bombenkrieg und Vertreibung die gerechtfertigten Reaktionen auf den Angriffskrieg, der von Deutschland ausging?
Dieser Band versammelt die wichtigsten Beiträge führender Historiker, Publizisten und Schriftsteller aus England und Deutschland. Kontroverse Standpunkte, analytische Texte und persönliche Erfahrungen - eine wichtige Debatte um ein verdrängtes Kapitel unserer Geschichte.

Der Herausgeber:
Lothar Kettenacker ist stellvertretender Direktor des Deutschen Historischen Instituts in London und Professor für neuste Geschichte an der Universität Frankfurt am Main.

Autor: Lothar Kettenacker (Hrsg.)
ISBN: 3-87134-482-6

Buchauszug
Hans Mommsen
Moralisch, strategisch, zerstörerisch

Die verheerenden Auswirkungen der alliierten Luftangriffe auf Deutschland im Zweiten Weltkrieg waren im öffentlichen Bewusstsein der Deutschen jahrzehntelang fast völlig zurückgetreten. W. G. Sebald, dessen viel beachtetes Buch über Luftkrieg und Literatur im Fischer Taschenbuch Verlag neu aufgelegt wurde und das vor allem in England eine lebhafte Diskussion auslöste, konstatierte einen «perfekt funktionierenden Mechanismus der Verdrängung» in Literatur und Wissenschaft und sprach von dem verleugneten «Geheimnis der in die Grundfesten unseres Staatswesens eingemauerten Leichen». In ähnlicher Weise wurden lang die Folgen von Flucht und Vertreibung beschwiegen, wie beispielsweise der Untergang der mit Flüchtlingen voll besetzten Wilhelm Gustloff, an den Günter Grass in seiner Novelle Im Krebsgang erinnert hat.
Inzwischen ist aus der Feder von Jörg Friedrich, der insbesondere durch seine Arbeiten über den Freispruch der Nazi-Justiz und die Wehrmachtsverbrechen in Russland 1941-1945 bekannt geworden ist, eine umfassende Darstellung des Bombenkrieges im Propyläen-Verlag erschienen, die diese Lücke auszufüllen sucht. Die überwiegend kritische Aufnahme des Buches in Großbritannien bezieht sich auf die Befürchtung, dass es Anlass zu revisionistischen Tendenzen geben könnte. Doch diese Absicht dem Buch selbst zu unterstellen täte seinem Autor Unrecht. Friedrichs eher impressionistisch gehaltene Darstellung schildert zunächst die Entwicklung der technischen Voraussetzungen des modernen Massenbombardements, der Funkleitsysteme in Deutschland und in Großbritannien, des Radars und der immer virtuoseren Methoden, die Ziele für die Bomber zu markieren, zugleich die immer deutlicher hervortretenden Schwächen der deutschen Luftverteidigung. Im Anschluss skizziert er Überlegungen, die die Royal Air Force dazu bewogen, zum area bombing überzugehen, das nicht mehr in erster Linie gegen Industrieanlagen und Verkehrseinrichtungen gerichtet war, sondern die Zerstörung der Wohnsiedlungen anstrebte und damit eine Demoralisierung der Bevölkerung zu erreichen suchte.
Friedrich verschweigt nicht, dass am Anfang die deutschen Vernichtungsschläge aus der Luft gegen feindliche Großstädte standen, so gegen Coventry, London, Rotterdam und Warschau, und dass das Konzept der von Goebbels so genannten «Terrorangriffe» auf Deutschland zurückgeht. Hitlers im Sommer 1940 gefasster Entschluss, die Wohnbezirke englischer Städte zu bombardieren, stellte ein indirektes Eingeständnis dar, dass das Unternehmen «Seelöwe», damit die Landung auf der englischen Insel aufgegeben werden musste, nachdem es nicht gelungen war, die britische Jagdwaffe auszuschalten. Friedrich nimmt dadurch Unterstellungen, er wolle die deutsche Seite entlasten, die Spitze, betont aber auch, dass schon im Ersten Weltkrieg von allen Seiten ins Auge gefasst wurde, den Krieg gegen die Zivilbevölkerung zu richten - was von deutscher Seite auch praktiziert wurde.

Seite 1 | 2 
Druckversion Druckversion
Fenster schliessen
Fenster schliessen