1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
2. Weltkrieg
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Buchauszug
Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf einer detaillierten Schilderung der alliierten Bombenoffensive gegen Deutschland. Friedrich legt ihr eine geographische Systematik zugrunde, was gelegentlich verwirrend wirkt, da die jeweiligen Phasen des Bombenkriegs aus dem Blick geraten. Das verheerende Ausmaß der Zerstörungen und der Menschenverluste sowie der Umfang des Luftkrieges, der schließlich alle größeren Städte erfasste, treten dabei in erschütternder Weise ins Bewusstsein, wobei Friedrich jeweils an deren historische Tradition und architektonisches Erbe erinnert.
Die Gesamtbilanz umfasst zugleich die Leiden der zivilen Bevölkerung, die durch den späten und teilweise versäumten Bunkerbau nur unzureichend geschützt war, wenngleich die Verluste dann mit ungefähr 1,5 Prozent der Einwohner im Verhältnis zu dem Umfang der Bombardements eher begrenzt waren. Das Versagen der Sicherungssysteme, die zunehmende Chancenlosigkeit der Löschkommandos, die unzureichende Ausstattung mit Schutzräumen, die Ausschließung von Juden, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, die Schwierigkeiten der Bergung der Leichen sowie die psychologischen Folgen für die Bombenopfer, sofern sie das Inferno überleben, verdichten sich zu einem Panorama des Grauens. Abschließend skizziert Friedrich die weithin vergeblichen Anstrengungen, historische Bauten, Kunstwerke, Gemälde, Bibliotheken und Archive zu schützen oder zu verlagern. Das in seinem ganzen Umfang nahezu unfassbare Debakel, das durch die immer systematischer durchgeführten alliierten Luftangriffe angesichts der zunehmend schwächer werdenden und schließlich fast ganz ausgeschalteten Luftabwehr herbeigeführt wurde, tritt eindrücklich und in seinem ganzen Schrecken vor Augen.
Friedrichs Darstellung ersetzt keine systematische Analyse der Entstehung des moral bombing, wie das Konzept der primär gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Flächenbombardements auf britischer Seite umschrieben wurde, fasst aber die Ergebnisse der Forschung sachkundig zusammen. Man hat ihm zum Vorwurf gemacht, eine Terminologie zu wählen, die den Bombenkrieg in die Nähe des «Holocaust» rückt, und es hätte ein Hinweis darauf nicht geschadet, dass der Bombenkrieg weder im Hinblick auf die Größenordnung der durch ihn entstandenen Verluste noch auf die systematische Vernichtungsabsicht neben die Shoah, die Menschenverluste der osteuropäischen Völker und die Politik der «verbrannten Erde» in Russland gestellt werden kann.
Indessen wurde der Terminus der «Ausrottung» von Churchill selbst gebraucht und spielte aufseiten der britischen Planungsstäbe der Gedanke der Schaffung menschenleerer Räume eine Rolle. Gerade für die späten Angriffe gegen nahezu unverteidigte Plätze ohne ernstlichen militärischen Wert und deren verhängnisvolle Folgen für die weithin ungeschützte Zivilbevölkerung lassen die Wortwahl vom «Massaker» legitim erscheinen. Aber es geht dem Autor nicht darum, eine gegenseitige Aufrechnung von Kriegsverbrechen vorzunehmen, und Friedrich ist aufgrund seiner bisherigen Arbeiten schwerlich dem Lager derjenigen zuzuordnen, denen darum zu tun ist, Schuldfragen aufzurollen.
Wohl aber zeigt Friedrich die Eskalation in der bedenkenlosen Wahl der Kampfmittel auf, wobei beide Seiten sich nicht viel nachgaben. Er erwähnt Überlegungen des britischen Premierministers, auf die Angriffe der V1 und V2 mit Gasangriffen zu antworten oder nötigenfalls die Anwendung biologischer Kampfmittel, darunter Milzbrand, ins Auge zu fassen. Die Brutalisierung der Kriegsführung im Zweiten Weltkrieg, die von Hitler ausging, kannte nahezu keine Grenzen, und das area bombing gehört in diesen Zusammenhang. Friedrich schildert, dass sich dieses Kampfmittel, einmal technisch zur Vollendung gebracht, von den engeren militärischen Zwecken löste, als Kompensation für die nicht errichtete zweite Front diente, auch vorübergehend die einzige wirksame Waffe darstellte, die Großbritannien gegenüber den Achsenmächten zu Gebote stand. Trotzdem ist die Perfektionierung der gerade gegen zivile Ziele entwickelten Zerstörungstechnik, die in der Erzeugung von Feuerstürmen gipfelte und durch die Verwendung von Zeitzündern sowohl die Löschkommandos wie die Rettungskräfte ausschaltete, nachgerade erschreckend.
Friedrichs Darstellung zeigt jedoch an unzähligen Beispielen, dass die Zielsetzung der Demoralisierung der deutschen Bevölkerung, die als Rechtfertigungsgrund für die schließlich auch gegen die deutschen Mittelstädte gerichteten Massenbombardements angeführt wurde, nahezu vollständig verfehlt wurde. Die Reaktion der betroffenen Menschen, die den Verlust ihrer nächsten Angehörigen und Nachbarn beklagten, die dem Flammenchaos mit Müh und Not entronnen waren und ihre Habe fast vollständig verloren hatten, richtete sich auf das nackte Überleben, und wenn Hass und Verzweiflung im Spiele waren, galten sie nicht Göring, Hitler und dem Regime, sondern den Alliierten und tobten sich in der Lynchjustiz gegen gefangen genommene alliierte Bomberpiloten aus. Aber in der Regel überwog Apathie, eine Gewöhnung an Teilnahmslosigkeit und ein unbestimmtes Schuldgefühl. Goebbels' Propaganda der «Terrorangriffe» verfehlte ihre Wirkung nicht, aber zugleich setzte sich bei den von ihr erfassten «Volksgenossen» die Vorstellung durch, der alliierte Luftkrieg sei eine Antwort auf die Ermordung der Juden. Die «Auslöschung des Widerstandswillens der Deutschen», von der Charles Portal, der Stabschef der Royal Air Force, 1941 träumte und die er 1942 durch Angriffe auf die Siedlungsgebiete herbeiführen wollte, blieb eine Illusion. Schon die fast vollständige Auflösung des gewachsenen gesellschaftlichen Gefüges schloss gemeinschaftliche Reaktionen, die sich gegen das Regime hätten richten können, aus, und die alliierten Flugblätter, in denen die Einwohner des Ruhrgebiets aufgefordert wurden, das Revier zu verlassen, verkannten die fehlenden Handlungsspielräume der Bürger, die infolge der Bombenangriffe umso mehr von der Hilfe der staatlichen Organe abhängig waren.
Bis in das Jahr 1944 hinein stärkte die alliierte Luftoffensive die Stabilität des NS-Regimes. Die Luftangriffe erlaubten es Martin Bormann, das ramponierte Ansehen der Partei zu verbessern, indem die NSV angewiesen wurde, in ihrem Namen tätig zu werden, um den Ausgebombten erste Unterstützung zu gewähren, deren Versorgung mit Lebensmitteln, Bekleidung, Unterkünften und Hausrat sicherzustellen und die Verschickung in nicht bombengefährdete Gebiete in die Wege zu leiten. Die bis dahin fiktive NS-Volksgemeinschaft schien gegenüber den Betroffenen, und das waren wachsende Teile der städtischen Bevölkerung, Realität zu werden, und dadurch regenerierte sich die zuvor weithin verlorene Loyalität gegenüber dem NS-Regime. Erst seit dem Sommer 1944 kann von nachhaltigen demoralisierenden Wirkungen gesprochen werden, die aber ebenso von den eskalierenden Verlusten an der Front und der aussichtslos werdenden militärischen Lage ausgingen.

Quelle: Lothar Kettenacker (Hrsg.)
Ein Volk von Opfern?
ISBN: 3-87134-482-6
Rowohlt Verlag GmbH Berlin, März 2003, 14,90 Euro

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