1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Opposition in der DDR
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Buchauszug
Am nächsten Tag wußten es alle. Honecker hatte Hermlins Rückzieher sofort triumphierend publik gemacht. Das wiederum muß den ehrgeizigen Ehrenmann Hermlin dermaßen entsetzt und wütend gemacht haben, daß er nun wiederum die heimlich gegebene Unterschrift unter die Zurücknahme seiner ersten Unterschrift mit einer nun allerdings öffentlichen Unterschrift zurücknahm.
Damit diese tragische Farce sich vollendet (Johannes R. Becher: »Vollendung träumend/Hab ich mich vollendet...«), lieferte Stephan Hermlin dann im Dezember folgenden Brief:

An die
SED Parteiorganisation
des Bezirksverbandes Berlin
des Schriftstellerverbandes
der DDR

Ich war für diesen Staat schon, als er gegründet wurde. Ich bin für die Partei und ihr Politbüro und für die Politik des VIII. und IX. Parteitages, und ich möchte, daß diese Politik nahtlos weitergeht. Die Partei- und Staatsführung haben Bedingungen geschaffen, die die Situation für jeden einzelnen von uns verbessert haben. Ich möchte, daß keinerlei Kluft entsteht, daß alle Schriftsteller sich um unsere Partei und Regierung scharen. Es war mein Fehler, die Information auch an AFP zu geben. Ich halte die Erklärung von Cremer, die er gemeinsam mit Balden und Sandberg unterzeichnet hat, für konstruktiv. Mit dem Klassengegner will ich nichts zu tun haben. Deshalb protestierte ich gegen die Hetzkampagne, die von der BRD aus gegen die Deutsche Demokratische Republik und gegen das bewährte Bündnis der Arbeiterklasse, der Genossenschaftsbauern und der Intelligenz in unserem Staate entfacht wurde.

Berlin, den 4.12.1976 gez. Stephan Hermlin


Es ist mehr billig als recht, sich zu mokieren über dieses unterwürfige Parteikauderwelsch aus dem Munde eines Poeten. Die ewige Schande liegt nicht beim Ketzer, der zu Kreuze kriecht, sondern bei der Inquisition. Brecht schrieb drei Jahre vor seinem Tode in den Buckower Elegien mit kalter Verachtung ein bleischweres Gedichtchen - und beginnt dabei nicht mit dem stählernen Josef Dschugaschwili aus Georgien, sondern mit dem eisernen Ulbricht aus Sachsen:

Die Musen

Wenn der Eiserne sie prügelt
Singen die Musen lauter.
Aus gebläuten Augen
Himmeln sie ihn hündisch an.
Der Hintern zuckt vor Schmerz
Die Scham vor Begierde.


Die respektvolle Frage wird erlaubt sein: Wie hätte der achtundsiebzigjährige Brecht sich in diesem traurigen Monat November verhalten.

Quelle: Wolf Biermann und andere Autoren
Die Ausbürgerung - Anfang vom Ende der DDR
ISBN: 3898340449
Ullstein Berlin, 18 EUR

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