1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Opposition in der DDR
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Buchauszug
Anfang vom Ende der DDR

Feuilletonistisch flott formuliert höre auch ich es gelegentlich: Die Ausbürgerung des Wolf Biermann war der Anfang vom Ende der DDR. Das ist gut getroffen, aber eben doch daneben. Keine DDR konnte kippen, weil sie irgendeinen Mann mit Gitarre ins deutschdeutsche Exil jagt. Was Deutschland damals erschüttert hat, am meisten die DDR selbst, war der Protest gegen diese Ausbürgerung. Damit hatte auch im Osten kein ausgebuffter Machtapparatler rechnen können, denn dafür gab es keine Erfahrungen. Auf den wütenden Medienkrach im Westen waren die SED-Oberen damals natürlich gefaßt gewesen, aber nicht darauf, daß zum allerersten Mal eine Gruppe von anerkannten Schriftstellern - und gemeinsam! - einen Protest, als Bittbrief kaschiert, öffentlich machte. Nicht nur berühmte Künstler, auch ungezählte namenlose Untertanen des Regimes schlossen sich dieser grassierenden Insubordination an. Die berühmteren Widersprecher wurden etwas später zumeist mit neuen Privilegien bestraft, die Unberühmten mit Knast belohnt. Das ist eine andere Geschichte, die auch noch aufgeschrieben werden wird. Aber von wem? Ich kann es nicht, ich war ja nicht dabei.
Was für eine phantastische Konstellation: chronisch auf sich fixierte Einzelgänger treffen sich bei Stephan Hermlin und beschließen zum ersten Mal, gemeinsame Sache zu machen. Ihr Motiv konnte nur sein: sie fühlten sich selbst bedroht. Stefan Heym formulierte es treffend: Wir haben Angst, daß sich das Ausbürgern in der DDR einbürgern könnte.
Und jedermann wußte: Das Ausbürgern Andersdenkender war eine typische Nazimethode. So was stinkt also in Deutschland besonders peinlich. Aber wie ging es dann weiter! Der Kern dieser dreizehn Petitionsverfasser brach bald auseinander. Jeder einzelne wurde sehr verschieden unter Druck gesetzt. Haarsträubende Geschichten wurden kolportiert. Hermlin soll zu seinem Jugendfreund aus ungetrübten FDJ-Tagen gerufen worden sein. So schilderte mir Jurek Becker eine wahre Beckett-Szene mit Stephan Hermlin, der von seinem Fürsten ins ZK gerufen worden war:

- Stephan, was hast du mir angetan! Du mußt deine Unterschrift unter diese idiotische Biermann-Petition sofort zurückziehn!

- Nie und nimmer, Erich!

- Stephan! Ich vertraue dir etwas aus dem Politbüro an: Die Fraktion der sturen Dogmatiker will mich fertigmachen und die vorsichtigen Reformen, die ich vorhabe, sabotieren. Sie sagen mir: dein feiner Freund Hermlin macht in dieser Biermanngeschichte mit dem westdeutschen Klassenfeind gemeinsame Sache!

- Nie und nimmer, Erich!

- Dann, Genosse Hermlin, beweise mir das und nehme deine Unterschrift zurück! Ich kann dir verraten: einige andere aus eurer Gruppe tun es auch, haben den Fehler schon bedauert.

- Nie und nimmer, Erich!

- Lieber Stephan, denk an unsere gemeinsame Zeit, als du der gefeierte Dichter unserer Jugend warst. Ich beschwöre dich als gestandenen Antifaschisten und verdienten Genossen, distanziere dich von dieser Kampagne des Westens!

- Erich, es ist keine Westkampagne.

- Dann bitte ich dich zum letzten Mal: Schreib mir hier wenigstens einen Zettel, und unterschreibe mir, daß du deine Unterschrift unter diese Biermann-Petition bedauerst, oder wenigstens den Mißbrauch, der im Westen damit getrieben wird! Ich verspreche dir: keiner wird es sehn, keiner erfahren! Ich schließe es hier vor deinen Augen in meinen privaten Stahlschrank ein, zu dem nur ich einen Schlüssel habe. Und rausholen werde ich dieses Blatt nur, wenn ich in höchster Not bin und mich anders im Politbüro nicht mehr wehren kann gegen die alten Stalinisten, die nichts dazugelernt haben ... erspare es mir, Namen zu nennen.

- Na gut, Erich, wenn du mir das versprichst.

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