1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
2. Weltkrieg
Seite 1 | 2 | 3 
Helmut Hilger
Erst als er wieder im Lager war, wurde er vom Leutnant "zur Sau" gemacht. Er erfuhr, dass die anderen Lagerinsassen eine Zeit lang schikaniert worden waren und somit Grund hatten, auf "Gelmut" sauer zu sein. Der deutsche Lagerkommandant schlug ihn zur Begrüßung voll ins Gesicht. Das war natürlich eine herbe Erfahrung.
Als Vergeltung für diese Flucht musste er drei Wochen in eine NKWD-Zelle (NKWD = russischer Geheimdienst). In der einen Quadratmeter großen "Behausung" konnte er nicht liegen. Danach kam er für zwei Monate in ein Strafbataillon, wo ihm nochmals unter Aufsicht von rumänischen Antifaschisten Hören und Sehen verging.
Überhaupt erlebte er während seiner Zeit in der Ukraine eine "wundersame Nationalitätenwandlung". Die Saarländer waren plötzlich Franzosen, die Oberschlesier Polen und die Österreicher benahmen sich aus seiner Sicht am schlimmsten. Sie wollten mit den Deutschen nichts zu tun haben und ihnen das "Heim ins Reich" nachträglich heimzahlen. Die Russen an sich waren sehr umgänglich, und Hilger fand zahlreiche Freunde. Einige Monate nach der Flucht im Jahre 1947 kehrte er zu seiner Brigade zurück und machte als Elektriker wieder die gleiche Arbeit.
Er erinnert sich, dass die Firmen 567 Rubel pro Gefangenen und Monat zahlen mussten. Er verdiente häufig mehr, ca. 1600 bis 1700 Rubel. Davon konnte er immer gut leben. Das meiste wurde, wie man heute salopp sagt "verfressen und versoffen". Diese guten Zustände erlebte er aber erst 1948 und 1949. In der Anfangszeit bekam er neben der Grundnahrung eine Portion roten Zucker, Tulkies (Salzheringe) und Machorka. Die Raucher tauschten immer wieder kostbare Lebensmittel gegen Rauchwaren ein und schädigten sich somit selber.
Helmut Hilger wollte nur überleben, und betrieb während seiner Freizeit meistens Sport (Fußball und Ringen). In Dnjepopetrowsk bestanden acht Lager (4 für Kriegsgefangene und 4 für Internierte). Hier gab es zahlreiche fußballerische Begegnungen unter den Lagermannschaften mit vielen Zuschauern. An Nationalitäten waren hier Deutsche, Polen, Ungarn und Rumänen vertreten.

Die Die "verwegendste" Zeit seines Lebens dürfte Helmut Hilger aus Boscheln wohl in Dnjepopetrowsk verbracht haben. Er spielte u.a. in einer guten Lager-Fußball-mannschaft.

"Plennik" Hilger trainierte auch mit zivilen Ringern in Dnjepopetrowsk, durfte aber als Gefangener an keinem öffentlichen Wettkampf teilnehmen.
Endlich wurde er im Dezember 1949 entlassen, und es erfolgte die lange Reise nach Hause. Immerhin war er zehn Tage von Dnjepopetrowsk bis nach Boscheln unterwegs. Gemeinsam mit einem Holzkoffer und Hans Mainz kam er in Palenberg an, das letzte Stück ging er zu Fuß.
Die meisten seiner Bekannten hatten gedacht, dass er nicht mehr lebe. Der Ehemann der Hebamme Reinhardt traf ihn kurz vor zu Hause und fuhr ihn in seinem Wagen bis vor die Tür. Groß war das Hallo als "Plennik Gelmut" nach vier Jahren der Ungewissheit sein Elternhaus in der Boschelner Lindenstrasse 100 betrat. Mit seinem starken Überlebenswillen hatte er eine lange Zeit in Russland überstanden. Aber er hatte in die richtige Richtung investiert und begann unmittelbar danach auch in Boscheln sein sportliche Karriere als Fußballer und Ringer. Training hatte er in Dnjepopetrowsk ja genug gehabt.


Aus: Jürgen Klosa, "Eine Generation verabschiedet sich", Übach-Palenberg, 2004.
ISBN: 3-00-014237-1

Seite 1 | 2 | 3 
Druckversion Druckversion
Fenster schliessen
Fenster schliessen