Grundlagenvertrag
Die sozialliberale Koalition hatte schon in ihrer ersten Regierungserklärung am 28. Oktober 1969 den Anspruch vorgetragen, das Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Deutschland grundsätzlich neu zu regeln und in eine gesicherte und normale Form zu bringen. Die von Bundeskanzler Brandt beim Kasseler Treffen mit dem DDR-Ministerratsvorsitzenden Stoph am 21. Mai 1970 vorgelegten 20 Punkte bildeten die Vorlage für den auszuhandelnden Vertrag. Wie beim Transitabkommen und beim Verkehrsvertrag wurden die Verhandlungen von Staatssekretär Bahr für die Bundesrepublik Deutschland und Staatssekretär Kohl für die DDR geführt. Am 16. August 1972 begannen die offiziellen Verhandlungen über den Grundlagenvertrag (häufig auch Grundvertrag genannt), die am 8. November 1972 mit der Paraphierung in Bonn und am 21. Dezember 1972 mit der Unterzeichnung in Ost-Berlin abgeschlossen wurden. Beide Vertragspartner verpflichteten sich, zueinander normale gutnachbarliche Beziehungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung aufzubauen, sich von den Prinzipien der UN-Charta leiten zu lassen und gegenseitig auf Gewaltanwendung und die Drohung mit Gewalt zu verzichten. Die Unverletzlichkeit der zwischen ihnen bestehenden Grenze, die uneingeschränkte Achtung ihrer territorialen Integrität, die Beschränkung der Hoheitsgewalt jedes der beiden Staaten auf das eigene Staatsgebiet und die Respektierung der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit jedes der beiden Staaten in seinen inneren und äußeren Angelegenheiten wurden ausdrücklich bekräftigt. Die Vertragspartner erklärten sich darin einig, friedliche Beziehungen besonders zwischen den europäischen Staaten zu fördern und zu den Bemühungen um eine kontrollierte internationale Rüstungsbegrenzung und Abrüstung beizutragen. Beide Seiten erklärten sich bereit, praktische und humanitäre Fragen zu regeln und eine Reihe von Abkommen über Zusammenarbeit auf verschiedenen Gebieten zu schließen. Der Austausch von ständigen Vertretungen wurde ebenfalls vereinbart. Die dem Vertrag beigefügten Protokolle, Briefe und Dokumente beziehen sich unter anderem auf Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten, Reiseerleichterungen, Familienzusammenführung sowie auf den Eintritt beider Staaten in die UN. Wie beim Abschluss des Moskauer Vertrages übergab die Bundesregierung einen Brief zur deutschen Einheit. Das Bundesverfassungsgericht lehnte am 31. Juli 1973 eine Verfassungsklage Bayerns ab und erklärte den Grundlagenvertrag für »mit dem Grundgesetz vereinbar«. Es verwies aber hinsichtlich einer künftigen friedensvertraglichen Regelung auf das Fortbestehen der Viermächteverantwortung für Deutschland als Ganzes. Quelle: "Schlaglichter der deutschen Geschichte" Lizenzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung. Copyright F. A. Brockhaus GmbH, Leipzig - Mannheim, Dudenstraße 6, 68167 Mannheim
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