1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Neuanfang
 

Sozialistischer oder kapitalistischer Weg?
Mit der Bildung demokratischer Parteien in den Westzonen begann bald eine lebhafte Diskussion über die künftige Wirtschaftsverfassung, bei der Forderungen nach Sozialisierung sowie nach Mitbestimmung auf Betriebs- und Unternehmensebene im Vordergrund standen. In der SPD und bei den Gewerkschaften war die Meinung vorherrschend, dass die politische Macht der Schwerindustrie, die die Machtergreifung der Nationalsozialisten ausschlaggebend unterstützt hatte, in der neu aufzubauenden Wirtschaftsstruktur durch Sozialisierung und Mitbestimmung der Arbeitnehmer gebrochen werden musste. Ganz ähnliche Vorstellungen enthielten auch die Entwürfe der Berliner Christdemokraten um Jakob Kaiser mit ihrem »christlichen Sozialismus«. Auch im Ahlener Programm der CDU der britischen Zone vom Februar 1947 wurde festgestellt, dass »die Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist«. Kohle und Eisenindustrie sollten vergesellschaftet, die Großbetriebe entflochten werden. Die Sozialisierungsforderungen fanden Eingang in die 1946/47 verabschiedeten Landesverfassungen. Am weitesten ging dabei der Artikel 41 der hessischen Verfassung: »Mit In-Kraft-Treten dieser Verfassung werden 1. in Gemeineigentum überfuhrt: der Bergbau (Kohle, Kali, Erze), die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, die Betriebe der Energiewirtschaft und das an Schienen oder Oberleitungen gebundene Verkehrswesen.« Die amerikanische Besatzungsmacht verlangte eine gesonderte Volksabstimmung über den Artikel 41, die am 1. Dezember 1946 gleichzeitig mit der Abstimmung über den übrigen Text der Verfassung stattfand und 71% der Stimmen für den Sozialisierungsartikel erbrachte. Daraufhin setzten die Amerikaner den Vollzug dieses Artikels aus. Die Durchführung ähnlicher Verfassungsbestimmungen oder Gesetze in den Ländern der Westzonen scheiterte am Einspruch der USA - dem sich auch die britische Besatzungsmacht beugte -, die künftige Wirtschaftsordnung sei erst von dem zu errichtenden Gesamtstaat festzulegen. Damit wurde die Umsetzung der Sozialisierungsvorstellungen verhindert.
Während sich FDP und CSU von Anfang an gegen Sozialisierung aussprachen, setzte sich in der CDU in den Jahren 1948/49 das vor allem von Ludwig Erhard befürwortete Konzept der sozialen Marktwirtschaft durch, das auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln basiert und dem Staat Schutz -und Korrekturaufgaben zuweist. Eine verfassungsrechtliche Entscheidung für eine bestimmte Wirtschaftsordnung hat der Parlamentarische Rat im Grundgesetz nicht getroffen. Nach zahlreichen wirtschaftspolitischen Vorentscheidungen, u.a. der Abschaffung der Zwangswirtschaft, der Währungsreform und dem Marshallplan, brachte das Ergebnis der ersten Bundestagswahl 1949 eine Gesetzgebungsmehrheit für die Verwirklichung der sozialen Marktwirtschaft.

Quelle: "Schlaglichter der deutschen Geschichte"
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