Kriegsziele
Die Frage, wie Europa nach diesem Kriege aussehen sollte, beschäftigte die Politiker, die Militärs und die Völker in allen Krieg führenden Staaten seit Beginn des Krieges am 1. August 1914. In Deutschland war anfänglich die öffentliche Erörterung von Kriegszielen untersagt, um die bei Kriegsausbruch erzielte Einmütigkeit des Volkes nicht zu gefährden. Vor allem vom Alldeutschen Verband und anderen nationalistischen Gruppen wurden schon früh überzogene annexionistische Forderungen gestellt, über die seit 1916 zunehmend auch der Reichstag debattierte. Man ging dabei ganz selbstverständlich von einem deutschen Sieg aus. Die deutschen Kriegszielvorstellungen liefen im Westen darauf hinaus, Frankreich so zu schwächen, dass es seinen Großmachtstatus verlieren würde, das Industriegebiet um das Erzbecken von Briey sollte annektiert werden; ob Frankreich zusätzlich Küstengebiete und den Westhang der Vogesen abtreten sollte, wurde der Beurteilung durch das Militär überlassen. Belgien wollte man in einen »Vasallenstaat« mit einem verselbstständigten Flandern umwandeln. Im Osten, wo es hauptsächlich um Polen ging, sollten die entsprechenden landwirtschaftlichen Nutzflächen annektiert werden, um die Ernährung der im Westen neu zu gewinnenden Gebiete sicherzustellen. Die den Osten betreffenden Kriegsziele hätten mit Österreich-Ungarn abgestimmt werden müssen, doch kam es nie zu einer verbindlichen Abmachung zwischen den verbündeten Staaten. Aus deutscher Sicht geriet die Habsburgermonarchie immer mehr in deutsche Abhängigkeit, sodass man sich über deren Wünsche teilweise hinwegsetzte. Die Möglichkeiten eines Sonderfriedens mit Russland wurden ebenfalls diskutiert, ebenso die Revolutionierung des Zarenreiches, um eine Beendigung des Krieges im Osten zu erreichen. Durch die Proklamierung des Königreiches Polen durch die Mittelmächte wurde jedoch diese Möglichkeit verbaut. Im Zusammenhang mit den militärischen Erfolgen an der Ostfront steigerten die Alldeutschen noch ihre Ansprüche und forderten die baltischen Staaten und Galizien für das Deutsche Reich. Im Gegensatz zu diesen nationalistischen Vorstellungen hielten lediglich die Sozialdemokraten an einem Verständigungsfrieden fest, einem Frieden ohne Annexionen. Nicht minder radikal waren die Forderungen der Franzosen. Sie verlangten nicht nur die Rückgewinnung Elsass-Lothringens und die Freigabe Belgiens, sondern auch den Erwerb des Saargebietes und teilweise sogar die Rheingrenze. Im Osten sollte der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn in mehrere kleine Nationen aufgelöst werden. Großbritanniens Forderungen beschränkten sich auf die Zerstörung der deutschen Flotte und die Übernahme der deutschen Kolonien. Deutschland sollte als Kontinentalmacht erhalten bleiben. Die amerikanischen Kriegsziele legte der amerikanische Präsident Wilson in einer Botschaft an den Kongress am 8. Januar 1918 dar. Die meisten der alliierten Kriegsziele wurden im Versailler Vertrag verwirklicht.Quelle: "Schlaglichter der deutschen Geschichte" Lizenzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung. Copyright F. A. Brockhaus GmbH, Leipzig - Mannheim, Dudenstraße 6, 68167 Mannheim
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