1890 - 1918 / 1919 - 1933 / 1933 - 1945 / 1945 - 1949 / 1949 - 1989 / 1989 - 2016
Machtergreifung
 

Reichstagsbrandverordnung
Mit der Begründung, daß man "staatsgefährdende kommunistische Gewaltakte" abwehren müsse, setzte die "Reichstagsbrandverordnung" unter Berufung auf den Artikel 48 Absatz 2 der Weimarer Verfassung die verfassungsmäßigen Grundrechte wie die Freiheit der Person, die Meinungs-, Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit, das Post-, Brief-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis sowie die Unverletzlichkeit von Eigentum und Wohnung" bis auf weiteres außer Kraft. Verdächtige und mißliebige Personen konnten jetzt ohne Anklage, ohne Beweise und Rechtsbeistand willkürlich verhaftet und festgehalten werden. Das war die Scheinlegalisierung der berüchtigten "Schutzhaft", die als willkürliche Freiheitsberaubung ohne richterliche Nachprüfungsmöglichkeit in den bald darauf eingerichteten Konzentrationslagern an Gegnern des NS-Regimes in barbarischer Weise ausgeführt wurde.
Nicht weniger einschneidend und folgenreich war der Paragraph 2 der Verordnung. Er ermächtigte den Reichsinnenminister, in die Souveränität der Länder einzugreifen, wenn diese "die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen" nicht ergreifen würden. Damit war der Gleichschaltung auch der Länder der Boden bereitet, die noch nicht unter nationalsozialistischer Kontrolle standen.
Wie schon in früheren Fällen verzichtete die improvisierte Notverordnung auf konkrete Ausführungsbestimmungen und öffnete damit einer willkürlichen Auslegung Tür und Tor. Die Begründung, daß man angebliche kommunistische Gewaltakte abwehren müsse, reichte aus, um vom Reichspräsidenten eine Notverordnung absegnen zu lassen, die den Abbau des Rechtsstaates einleitete und bald zur eigentlichen "Verfassungsurkunde" (Ernst Fraenkel) des Dritten Reiches werden sollte. Hier wurde die scheinlegale Grundlage der nationalsozialistischen Diktatur gelegt, die durch den permanenten Ausnahmezustand gekennzeichnet war.
Formal knüpfte die Reichstagsbrandverordnung an die bisherige Praxis der präsidialen Notverordnung der letzten Jahre an. Das und die Tatsache, daß sich die Verordnung gegen die politische Linke richtete, dürfte auch das Gewissen der Deutschnationalen besänftigt und jeden Widerspruch erstickt haben. Die Tatsache, daß mit dem Urteil des Reichsgerichts im Reichstagsbrandprozeß vom September 1933, in dem der Holländer van der Lubbe zum Tode verurteilt wurde, die Begründung der Verordnung, nämlich die Täter- oder Mittäterschaft der Kommunisten bei der Brandstiftung nicht nachgewiesen werden konnte und daß sie damit rechtlich ungültig war, änderte daran nichts. Allein das beweist, wie es mit der Legalität des nationalsozialistischen Staates bestellt war, "der sich auf eine tatsachenwidrig begründete, permanente Ausnahmegesetzgebung stützte" (Bracher). Hinzu kam, daß van der Lubbe u.a. wegen Brandstiftung verurteilt wurde, die zum Zeitpunkt der Tat noch nicht mit der Todesstrafe bedroht war.
Für die nationalsozialistische Führung wirkten die Verordnungen und die von ihnen legalisierten Verfolgungsmaßnahmen wie ein Stimulans, das ihre Aggressivität noch steigerte. "Es ist wieder eine Lust zu leben", kommentierte Goebbels die Nachrichten von den Massenverhaftungen in den folgenden Tagen. Die meisten Deutschen nahmen die Gefährdung ihrer Freiheit nicht wahr. Mit der Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar verstärkten sich die terroristischen Züge des Wahlkampfes. Tausende von Kommunisten wurden verhaftet und in improvisierte Konzentrationslager oder Folterkeller verschleppt. Bis Mitte März waren allein in Preußen mehr als 100000 politische Gegner verhaftet worden. In der Mehrheit Kommunisten, aber auch Angehörige der literarischen Linken fielen in die Hände von Görings Polizei: Carl von Ossietzky, Erich Mühsam, Ludwig Renn, Egon Erwin Kisch und viele andere, die ein Stück der Weimarer Kultur gebildet hatten.


Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright
Bundeszentrale für politische Bildung
www.bpb.de


 
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