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Jugendpolitik
In der Rhetorik und Politik der SED spielte die Jugend eine große Rolle: Der Jugend gehörte die Zukunft, sie war nicht belastet von der Vergangenheit, sie würde den Sozialismus verwirklichen. Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) - die einzige Massenorganisation für Jugendliche ab 14 Jahren - war ständig bemüht, die Jugendlichen für den Aufbau des Sozialismus zu begeistern und zu staatstreuen Bürgerinnen und Bürgern der DDR zu erziehen. Diejenigen, die sich diesem Erziehungsanspruch zu entziehen suchten oder sich widersetzten, mußten mit strengen Sanktionen rechnen. Die sechziger Jahre sind gekennzeichnet durch einen Konflikt zwischen dem Erziehungsanspruch der FDJ und der Partei einerseits und dem Bestreben vieler Jugendlicher andererseits, sich ihren individuellen Freiraum zu bewahren Es handelte sich hier auch um einen Generationskonflikt, der 1965 offen zum Ausbruch kam. Die im ZK der SED maßgeblichen Funktionäre hatten ihre politische Sozialisation in den politischen Auseinandersetzungen der Weimarer Republik erhalten und die Zeit des Nationalsozialismus im Widerstand oder im sowjetischen Exil verbracht. Aufgrund ihrer eigenen Jugenderfahrungen standen sie den Bedürfnissen und kulturellen Ausdrucksformen der neuen Jugendgeneration fremd und verständnislos gegenüber. Sie hielten die Begeisterung für englische Beat-Gruppen, die Vorliebe für westliche Mode und lange Haare für "dekadent" und "unmoralisch". Die Erziehungsfunktionäre konnten das Verhalten der Jugendlichen nur in die Deutungsmuster des Kalten Krieges einordnen. Für Erich Mielke, den Chef des Staatssicherheitsdienstes, waren Konflikte und Schwierigkeiten mit der Jugend schlicht eine Folge der "Existenz des westdeutschen staatsmonopolistischen Herrschaftssystems" und seiner psychologischen Kriegsführung gegen die DDR. So wurden in den Augen der Funktionäre Beat-Gruppen zu Agenten des Klassenfeindes und die jugendliche Subkultur zu einem politisch gefährlichen Protest. Der Bau der Mauer blockierte den Jugendlichen in der DDR endgültig den direkten Kontakt zum Westen. Die DDR-Führung rechnete daher auch mit Unruhen und Protesten. Die FDJ war gefordert, durch erhöhte "Wachsamkeit" jede mögliche Opposition beizeiten zu melden, und durch Massenaktionen Zustimmung zur Politik der Staatsführung zu bekunden. Bereits am 16. August 1961 forderte der Zentralrat der FDJ mit dem Slogan "Das Vaterland ruft! Schützt die sozialistische Republik!" Jugendliche zur freiwilligen Meldung für den Dienst in der Nationalen Volksarmee auf (die allgemeine Wehrpflicht wurde in der DDR erst am 24. Januar 1962 eingeführt). Im September 1961 wurden gezielt FDJ-Mitglieder zu der sogenannten "Aktion Blitz gegen NATO-Sender" eingesetzt, bei der etwa 25000 Jugendliche Tausende von Fernsehantennen, die auf Sender in der Bundesrepublik ausgerichtet waren, "in Richtung Sozialismus" einstellten. Die Staats- und Parteiführung blieb gleichwohl mißtrauisch der Jugend gegenüber. Denn auch nach dem Mauerbau orientierten sich viele Jugendliche in der DDR in Freizeit, Kleidung, Haarschnitt, Musik und Tanz an westlichen Vorbildern und Idolen. Vor allem Schülerinnen und Schüler der Erweiterten Oberschulen galten als anfällig für bürgerlichen und kirchlichen Einfluß. Der Höhepunkt der Repressionen gegen die Kirchen war 1961 zwar überschritten, gleichwohl wurde die Jugendorganisation der Evangelischen Kirche, die junge Gemeinde, weiterhin scharf beobachtet und auch bekämpft. Mit der Einführung des Neuen Ökonomischen Systems, das selbständiges Denken und Handeln voraussetzte, begann 1963 auch eine gewisse Liberalisierung in der Jugend- und Kulturpolitik der DDR. Die SED- und FDJ-Führung sahen ein, daß der Schließung der Grenze nach außen eine Öffnung nach innen folgen mußte, wollte man die nach 1945 geborene Generation nicht für die DDR verlieren. Am 21. September 1963 verabschiedete das SED- Politbüro ein sogenanntes Jugendkommuniqué, das die neue Jugendpolitik vorstellte. Danach sollte das Verhältnis der Jugend frei sein von "Gängelei, Zeigefingerheben und Administrieren". Liberalisierung der Kultur- und Jugendpolitik Das Kommuniqué war ein Indiz dafür, daß die SED-Führung die Realität akzeptierte. Die bislang verpönten "westlichen Lebensgewohnheiten" der Jugendlichen sollten toleriert und durch politische Schulung kompensiert werden. Das Kommuniqué empfahl ausdrücklich die neuesten Werke von DDR-Schriftstellerinnen und -Schriftstellern, die im Zuge der Liberalisierung entstanden waren, so Christa Wolfs "Der geteilte Himmel" und Erik Neutschs "Die Spur der Steine". Kritische Dichter wie Wolf Biermann und Heinz Kahlau durften zeitweise auftreten. In Ost-Berlin wurden öffentliche "Streitgespräche" veranstaltet, in denen Hunderte von Jugendlichen über aktuelle Fragen diskutierten. Einen ersten Höhepunkt erreichte diese Phase einer offenen DDR-Jugendpolitik mit dem "Deutschlandtreffen der Jugend", das vom 16. bis 18. Mai 1964 in Berlin stattfand. Das SED-Politbüro hatte die Planungen abgesegnet und ein Programm formuliert, das Unterhaltung und Tanz geschickt mit politisch-ideologischer Indoktrination verband. Nach offiziellen Angaben kamen über eine halbe Million Jugendliche nach Ost-Berlin, darunter 25000 aus der Bundesrepublik. Vor allem ihnen wollten FDJ und SED vor Augen führen, wie weit die DDR seit dem Bau der Mauer 1961 gekommen war. Es gab eine Vielzahl von Kulturveranstaltungen, Lesungen von Schriftstellern wie Brigitte Reimann, Christa Wolf, Hermann Kant und Dieter Noll. Der Berliner Rundfunk sendete das eigene Jugendprogramm "DT 64", das nach dem Jugendtreffen einen festen Sendeplatz bekam und bis in die achtziger Jahre ein bei Jugendlichen beliebtes Programm blieb. Für die westdeutschen Teilnehmer stellte sich die DDR in Aufbruchstimmung dar, bei vielen ostdeutschen Teilnehmern prägte sich das Deutschlandtreffen als Schlüsselerlebnis ihrer Jugendgeschichte ein. Diese vorübergehende Phase der Liberalisierung nach dem VI. Parteitag wurde von Künstlerinnen und Künstlern genutzt, um die Realität des DDR-Alltags, die individuelle Situation von Menschen, insbesondere von Jugendlichen, kritisch darzustellen. Der Film "Das Kaninchen bin ich" von Kurt Maetzig und Manfred Bieler nahm das Tabu-Thema politische Justiz aufs Korn und gab der ganzen Gattung ihren Namen. Weitere "Kaninchen-Filme" waren "Der Frühling braucht Zeit" (Regie: Günter Stahnke) über die Vereinsamung des Menschen in der sozialistischen Welt oder "Denk bloß nicht, ich heule" über einen 18jährigen Oberschüler, der von der Schule gewiesen wird.Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de
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