|
Bildungspolitik
Am 25. Februar 1965 folgte das Gesetz über das "einheitliche sozialistische Bildungssystem". In seinen Auswirkungen für den Alltag und den Lebensweg der DDR-Jugendlichen war dieses Gesetz von großer Bedeutung, denn es legte Inhalt und Organisation des DDR-Bildungswesens bis zum Ende der DDR fest. Grundsätzlich orientierte sich die Bildungspolitik in der DDR am Vorbild der Sowjetunion und verfolgte zwei Ziele: ein hohes Bildungsniveau für alle Jugendlichen und Berufstätigen und die völlige Einbindung jedes einzelnen in das ideologische und politische System der DDR. 1959 wurde mit der zehnklassigen allgemeinbildenden Polytechnischen Oberschule (POS) die Einheitsschule zur obligatorischen Schule erklärt. Das Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungswesen wurde zu einem Zeitpunkt erlassen, als in der Bundesrepublik die Diskussion über die "deutsche Bildungskatastrophe" gerade anlief. Die DDR schien eine Antwort bereit zu haben auf die Anforderungen der wissenschaftlich-technischen Revolution, denn mit dem neuen Gesetz wollte sie die Bildungsplanung verbessern, das Bildungsniveau anheben und das Bildungssystem rationeller mit dem Beschäftigungssystem verknüpfen. Aufgabe des sozialistischen Bildungswesens war demnach, "die Bürger zu befähigen, die sozialistische Gesellschaft zu gestalten, die technische Revolution zu meistern und an der Entwicklung der sozialistischen Demokratie mitzuwirken". Grundsätzlich sollte Theorie mit Praxis, Lernen und Studieren mit "produktiver Tätigkeit" verbunden sein. Besonderer Wert wurde auf die mathematisch-naturwissenschaftlichen und die technischen Bildungsinhalte gelegt. Die grundlegenden Bestandteile des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems, wie sie das Gesetz festlegte, waren ·die Einrichtungen der Vorschulerziehung wie Kinderkrippen, Kindergärten, Spiel- und Lernnachmittage, deren Arbeit auf staatliche Bildungs- und Erziehungspläne gegründet, deren Besuch aber nicht obligatorisch war, ·die zehnklassige allgemeinbildende Polytechnische Oberschule, ·die Einrichtungen der Berufsausbildung, ·die zur Hochschulreife führenden Einrichtungen, vor allem die erweiterte allgemeinbildende Polytechnische Oberschule, ·die Ingenieur- und Fachschulen, ·die Universitäten und Hochschulen und ·die Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung der Berufstätigen. Den Kern dieses Bildungssystems bildete die zehnklassige allgemeinbildende Polytechnische Oberschule. Sie war die Pflichtschule für alle Kinder und Jugendlichen, die damit prinzipiell zehn Jahre lang eine allgemeinbildende Schule besuchen mußten. Auch nach Erlaß des Gesetzes war es allerdings möglich, die Schule bereits nach dem achten Schuljahr zu verlassen und eine Berufsausbildung zu beginnen. Seit 1965 erhöhte sich aber der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die neunte und zehnte Klasse besuchten, ständig. 1965/66 besuchten 72 Prozent aller Schülerinnen und Schüler die 9. Klasse einer Polytechnischen Oberschule, 1970 waren es 85 Prozent. 1965 hatten 53,6 Prozent derjenigen, die die Schule verließen, den Abschluß der 10. Klasse, 1970 waren es 70,7 Prozent. Die Polytechnische Oberschule war eine Gesamtschule. Ihr besonderes Kennzeichen war die Verbindung von Schule und Arbeitswelt durch den polytechnischen Unterricht, der in der 7. Klasse einsetzte. Hier wurden die Schülerinnen und Schüler eingeführt in die "sozialistische Produktion". Dazu gehörte vor allem "produktive Arbeit" in einem Volkseigenen Betrieb (VEB) oder in einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG). Unterricht und Arbeit in diesen Bereichen boten noch keine berufliche Grundausbildung, sollten aber berufsvorbereitend sein. Die zweijährige Erweiterte Oberschule (EOS) baute auf die zehnklassige Polytechnische Oberschule auf und bereitete auf das Hochschulstudium vor. Der polytechnische Unterricht wurde hier in Zusammenarbeit mit Betrieben und wissenschaftlichen Institutionen fortgeführt. Zum obligatorischen Unterricht gehörten auch Lehrgänge zur vormilitärischen Ausbildung für Jungen und die Sanitätsausbildung für Mädchen. Die Aufnahme in die EOS wurde von Anfang an zahlenmäßig begrenzt und auf die ebenfalls begrenzte Zahl der Studienplätze abgestimmt. Die Auswahl erfolgte nach schulischen Leistungen, politischer Zuverlässigkeit und sozialer Herkunft. In der Regel gingen nur zwei Jugendliche einer 10. Klasse auf die EOS über. Das Gesetz sicherte die Ausbildung und gesellschaftliche Integration allen Jugendlichen in der DDR zu. Es nahm allerdings auf persönliche Interessen und Ansprüche wenig Rücksicht. Großer Wert wurde auf die Einheit von fachlicher und politischer Ausbildung gelegt. Erziehungsziel war der völlig an das politische System angepaßte Mensch. Eine produktive Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, die Entwicklung einer gewissen Selbständigkeit - wichtige Voraussetzung für das Funktionieren des Neuen Ökonomischen Systems - wurden weder vermittelt noch angestrebt. Das Jugendgesetz und das Gesetz über das einheitliche sozialistische Bildungswesen können als Indikatoren dafür gelten, daß Ende 1964 ein Wandel in der Jugend- und Kulturpolitik der DDR einsetzte. Wieweit der Führungswechsel in Moskau dazu beitrug, daß die 1963 eingeleiteten Reformen wieder zur Disposition standen, ist schwer zu sagen. Am 14. Oktober 1964 hatte Nikita Chruschtschow alle Ämter abgeben müssen. Neuer Generalsekretär der KPdSU war Leonid Breschnew geworden; er beendete den Prozeß der Entstalinisierung in der Sowjetunion. Die Verfechter eines harten Kurses in der DDR gewannen dadurch Oberwasser. Spitzenfunktionäre wie Erich Honecker, Horst Sindermann und Erich Mielke waren entschlossen, die Liberalisierung in der Kultur- und Jugendpolitik abzubrechen, denn in ihren Augen hatte sie zur Abkehr der jungen Generation von der DDR-Gesellschaft geführt. Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de
|
|