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Demontagen und Reparationen
In der sowjetischen Zone wurden nicht nur, unmittelbar nach Kriegsende beginnend, Fabrikanlagen, Eisenbahngleise, Transporteinrichtungen demontiert und abtransportiert. Es gab auch eine zweite Art der Demontage in Form einer Enteignung und Umwandlung von Betrieben zu "Sowjetischen Aktiengesellschaften" (SAG), die an Ort und Stelle unter sowjetischer Regie weiterproduzierten. Etwa 200 Unternehmen, die 20 Prozent der Industrieproduktion der SBZ erzeugten, wurden 1947 in diese neue Rechtsform überführt, darunter das Bunawerk bei Merseburg und das Leunawerk. Die SAG gingen ab 1953 durch Kauf in den Besitz der DDR über. Die mit über 100 000 Beschäftigten größte SAG, die Wismut AG, die in Sachsen und Thüringen Uran abbaute, blieb mit Sonderstatus bis zum Ende der DDR gemeinsamer Besitz der DDR und der Sowjetunion. Die SAG produzierten nicht ausschließlich für die Besatzungsmacht. 30 Prozent der Erzeugung gingen auf ein Reparationskonto, ein Drittel stand dem Binnenmarkt zur Verfügung, ein Drittel ging in den Expor. Die eigentliche Demontage betraf bis Ende 1946 über 1000 Betriebe, vor allem der eisenschaffenden, chemischen und optischen Industrie, des Maschinenbaus und der Energieerzeugung. Dazu kamen die Entnahmen aus der laufenden Produktion. Die Höhe der Reparationsleistungen, die die Sowjetunion ihrer Besatzungszone bzw. der DDR bis 1952 entnahm, ist unbekannt. Geschätzt werden bis zu 66 Milliarden Mark. Unstrittig ist, daß die in Jalta geforderte Summe von zehn Milliarden Dollar zugunsten der Sowjetunion durch die sowjetische Besatzungszone mehr als aufgebracht wurde. Hinzurechnen müßte man auch die Arbeitsleistung, die von deutschen Kriegsgefangenen beim Wiederaufbau in der Sowjetunion und in Frankreich erbracht wurde. Kriegsgefangenenarbeit war in der Nachkriegswirtschaft dieser beiden Länder ein beachtlicher Faktor. Von den über elf Millionen deutschen Soldaten befanden sich etwa 7,7 Millionen im Gewahrsam der Westmächte, insbesondere der USA, etwa 3,2 Millionen in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Während Amerikaner und Briten unmittelbar nach Kriegsende begannen, ihre Gefangenen zu entlassen, behielt die Sowjetunion, weil ihre Arbeitskraft gebraucht wurde, deutsche Kriegsgefangene noch jahrelang in sibirischen Lagern zurück. Ähnlich verhielten sich zunächst die Franzosen, die sogar noch "Kriegsgefangene" machten, als der Krieg zu Ende war. Aus Stuttgart wird zum Beispiel der Fall berichtet, daß ein Konvoi deutscher Soldaten, die von den Amerikanern entlassen werden sollten, im Moment der Entlassung zu französischen Kriegsgefangenen erklärt und in die andere Richtung abtransportiert wurden. Den Amerikanern lag am Sachverstand deutscher Wissenschaftler und technischer Spezialisten, die sie zwischen 1945 und 1950 in die USA verbrachten. Die amerikanische Raketentechnik profitierte am sichtbarsten davon. Wäre der Industrieplan vom März 1946 realisiert worden, hätte das die Beseitigung von 1800 Fabriken bedeutet sowie - entsprechend den Quotenfestlegungen für die einzelnen Produktionszweige - die Reduzierung der gesamten Produktionsmöglichkeiten auf den Stand des Krisenjahres 1932. Die spektakulären Demontagen, etwa der "Reichswerke Hermann Göring" in Salzgitter, die bis in die fünfziger Jahre andauerten, wurden auf deutscher Seite mit Erbitterung als mutwillige Vernichtung von Arbeitsplätzen in einer Zeit wirtschaftlicher Not begriffen, gegen die die Arbeiter mit Parolen wie "Vernunft statt Gewalt" und "Wir wollen keine Bettler sein ... laßt uns unsere Arbeitsstätte" demonstrierten. Im August 1947 wurde ein revidierter Industrieplan für die Bizone veröffentlicht; er lockerte manche Produktionsbehinderungen, aber er zog immer noch nicht die Konsequenzen aus der ökonomischen Lage Deutschlands: Wenn das Land sich nicht durch den Export von Industriegütern ernähren konnte, blieb es auf Hilfe von außen angewiesen. Die endgültige Demontageliste vom Oktober 1947 umfaßte 682 Betriebe, von denen 496 in der britischen und 166 in der amerikanischen Zone lagen. Für die französische Zone wurde im November eine Liste mit 236 deutschen Werken bekanntgegeben. Trotz weiterer Erleichterungen in den folgenden Jahren wurden die Demontagen in den Westzonen teilweise bis 1951 fortgesetzt. Die unmittelbare Folgewirkung der Demontagen lag für die Deutschen eher im Bereich des Psychologischen, in einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Für die Volkswirtschaft hatte die Vernichtung der Industriekapazitäten dagegen kurzfristig kaum Auswirkungen. Der Mangel an Rohstoffen und das zusammengebrochene Verkehrs- und Transportsystem hätten in den ersten Nachkriegsjahren die Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten gar nicht erlaubt. Außerdem hatten die Alliierten das deutsche Industriepotential bei weitem unterschätzt. Das Ausmaß der Kriegszerstörungen war nämlich geringer, die Kapazitäten waren hingegen in viel höherem Ausmaß während des Krieges erweitert worden, als die alliierten Planer angenommen hatten. Für die Empfänger waren die demontierten Industrieanlagen oft wertlos: Entweder waren sie unsachgemäß abgebaut und abtransportiert worden, oder die inzwischen veralteten Fabriken arbeiteten unrentabel. In Westdeutschland konnten dagegen schon ab 1949 die demontierten Anlagen durch moderne und rationell arbeitende Werke ersetzt werden - nicht zuletzt mit amerikanischer Hilfe. Eines der Geheimnisse des "Wirtschaftswunders" der fünfziger Jahre lag also in der ökonomisch sinnlosen Demontagepolitik der Alliierten und im durch ihre Hilfe ermöglichten modernisierten Wiederaufbau. Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de
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