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Re-Education
Die Alliierten hielten die Herstellung eines demokratischen Systems, auch wenn sie diesen Begriff höchst unterschiedlich interpretierten und sehr verschiedene Methoden anwendeten, übereinstimmend für ein grundlegendes Kriegsziel und einen wichtigen Besatzungszweck gegenüber Deutschland. Dazu war es zunächst nötig, die Deutschen mit demokratischen Verhaltensweisen bekanntzumachen, sie zu Demokraten zu erziehen. Der Begriff "Umerziehung", mit dem der englische Ausdruck re-education (man sagte auch re-orientation) umschrieben wurde, war freilich sehr unglücklich und löste auf deutscher Seite heftige Abwehr aus. Nicht nur schien materieller Wiederaufbau vielen dringlicher als die Demokratisierung des Bildungswesens, der Presse, des Rundfunks, des ganzen öffentlichen Lebens, sie wehrten sich auch dagegen, auf kulturellem Gebiet Lehren von Amerikanern und Sowjetoffizieren, Franzosen und Briten anzunehmen. Die militärische und moralische Niederlage war vielen Deutschen schmerzlich genug, sie wollten jetzt nicht auch noch belehrt und erzogen werden. Nach der Besetzung waren alle Schulen in Deutschland geschlossen worden. Vor der Wiederaufnahme des Unterrichts sollten die Lehrer (sowie Lehrpläne und Lehrmittel) entnazifiziert werden. Angesichts der Mitgliedschaft der überwiegenden Mehrheit aller Lehrer in der NSDAP oder deren Gliederungen war dies nicht nur ein organisatorisches Problem, die konsequente Durchführung eines umfassenden Entnazifizierungsprogramms hätte auch auf lange Zeit jeden Schulbetrieb in Deutschland verhindert. Gegen alle Bedenken und trotz mangelhafter Vorbereitung wurden daher in allen Zonen im Laufe des Herbstes 1945 die Schulen wieder eröffnet, hauptsächlich, um die Kinder und Jugendlichen von der Straße zu bringen. Wegen des Lehrermangels holte man Pensionäre in die Schulen zurück und stellte "Schulhelfer" ein (zum Beispiel Studenten), die in den unbeheizten Schulhäusern beim Schichtunterricht mithalfen. An Reformen war zunächst in dieser Situation nicht zu denken.Schulreformen Der Alliierte Kontrollrat stellte erst knapp zwei Jahre später Grundsätze zur Demokratisierung des deutschen Erziehungssystems auf. Die Direktive vom Juni 1947 enthielt zur Strukturreform des Bildungswesens aber nur vage Andeutungen und allgemeine Wendungen. So wurde ein "umfassendes Schulsystem" gefordert, in dem die "Begriffe Grundschule und Höhere Schule zwei aufeinanderfolgende Stufen der Ausbildung darstellen" sollten, aber nicht "zwei Grundformen oder Arten der Ausbildung" in Überschneidung. Gemeint war die sechsklassige Grundschule für alle. Tatsächlich waren in allen vier Zonen Reformen in Gang gekommen, die sich freilich in ihren Inhalten beträchtlich unterschieden. In der sowjetischen Besatzungszone war ab Frühjahr 1946 das "Gesetz zur Demokratisierung der Deutschen Schule" in Kraft, das als Einheitsschule die achtklassige Grundschule mit anschließender vierstufiger Oberschule oder dreistufiger Berufsschule einführte. Etwa 40 000 Neulehrer (sie mußten Antifaschisten sein und sollten der Arbeiterklasse angehören) wurden in Schnellkursen von zunächst nur drei Monaten, später acht und ab 1947 zwölf Monaten Dauer ausgebildet. Ziel der Bildungsreform in der SBZ war der Abbau bürgerlicher Privilegien im Bildungswesen: Die Kinder von Arbeitern und Bauern sollten besonders gefördert werden. Ganz anders sah es in der französischen Zone aus. Dort wurde das bildungspolitisch radikalste und innovativste Besatzungsregime geführt. Die Militärregierung versuchte bis 1949, das französische Schulsystem zu etablieren. Es vereinigte liberalen Geist mit elitärer Zielsetzung, diente der sozialen Auslese und Elitenbildung. Die von der französischen Militärregierung oktroyierte Schulreform war jedoch in der Form einschneidender als im Inhalt. Am 1. Oktober 1946 erging der Befehl zur Vereinigung der verschiedenen Typen höherer Schulen. Neu war vor allem, daß die ersten drei Klassen des Gymnasiums - so hießen von nun an alle höheren Lehranstalten - eine Art Förderstufe darstellten, die auch Volksschülern noch den späteren Eintritt ermöglichen sollten. Französisch erhielt vor allen anderen Fremdsprachen den Vorrang, das humanistische Gymnasium wurde zwar nicht beseitigt, es sollte aber künftig nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Schließlich wurden auch alle Formen besonderer Mädchenbildung abgeschafft. In der britischen und in der amerikanischen Besatzungszone verfuhren die Militärregierungen nach der Maxime, Schulreformen müßten von den Deutschen selbst entwickelt und durchgeführt werden. Während die Engländer diesen Grundsatz bis zum Ende des Besatzungsregimes aufrechterhielten, entschlossen sich die Amerikaner im Herbst 1946 aber doch dazu, stärkeren Einfluß zu nehmen. Die deutschen Bestrebungen zur Reform des Schulwesens waren nämlich bis dahin sehr verhalten geblieben. Die Amerikaner propagierten das Modell einer Einheitsschule, in der alle Kinder ohne Unterschied des Geschlechts, der sozialen Herkunft und der Berufsziele die ersten sechs Jahre gemeinsam verbringen sollten, um Gemeinschaftsgefühl und demokratisches Verhalten zu entwickeln. Die höheren Schulen sollten vereinheitlicht, notwendige Differenzierungen nicht durch getrennte Schularten erzielt werden. Kernstück des amerikanischen Reformkatalogs war die Gesamtschule für alle Schulpflichtigen, außerdem wünschten die Amerikaner Schulgeldfreiheit, Lernmittelfreiheit, die Schulpflicht bis zum 15. Lebensjahr, die volle Integration von Berufsausbildung und Berufsberatung in das allgemeine Schulsystem und die Ausbildung der Lehrer an Universitäten. Diese Ziele sollten von den Bildungsoffizieren auf Länderebene propagiert, aber nicht oktroyiert werden. 1948 war es, wie sich auf vielen anderen Gebieten zeigte, für die Durchsetzung alliierter politischer Vorstellungen schon zu spät, und es wurde zunehmend beschlossene Sache, daß die Militärregierung nicht mehr auf die vollständige Erfüllung ihrer Anordnungen dringen würde. Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de
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