Verschärfung der Repression
Der Krieg hatte die nationalsozialistische Herrschaftsordnung noch einmal verändert und die Repressionspolitik verschärft. Das Regime war sich offenbar bewußt, daß die Entfesselung des Krieges und die durch ihn hervorgerufenen materiellen, sozialen und psychischen Belastungen die Loyalität der Bevölkerung und damit die innere Sicherheit gefährden könnten. Je mehr sich die Aggressivität des Regimes nach außen entlud, um so mehr verschärften sich auch im Inneren Herrschaftsanspruch und totalitäre Kontrolle. Die letzten Dämme waren gebrochen. Die ideologische Indoktrinierung und das Strafrecht wurden radikalisiert. Immer neue Straftatbestände wurden als Abschreckungsmittel eingeführt oder das Strafmaß für harmlose Vergehen drastisch erhöht. Außerdem erhielten die Sondergerichte eine erweitere Zuständigkeit. Sozial abweichendes Verhalten wurde unter die Drohung der „Ausrottung von Volksschädlingen“ gestellt. Mit jeder dieser Maßnahmen war die Macht der SS gewachsen. Ihre weit verzweigten institutionellen Apparate schränkten den Hoheitsbereich staatlicher und militärischer Instanzen immer mehr ein. Himmler hatte seit dem Ende der dreißiger Jahre ein Protektionssystem aufgebaut, indem er SS-Ehrenämter (samt Uniform) an andere Funktionsträger verlieh. Dadurch schuf er sich ein Netz von persönlichen Loyalitäten und von Informationen, das den Einfluß der SS im NS-Herrschaftssystem ausweitete. Daneben gelang es ihm, hochrangige SS-Mitglieder in andere Bürokratien einzuschleusen. Der für die nationalsozialistische Führerdiktatur charakteristische Kompetenz- und Rivalitätswirrwarr hatte sich während des Krieges noch einmal verstärkt und die führerunmittelbaren Sonderaufträge nahmen gegen Kriegsende weiter zu. Das zeigte sich auch an der Spitze des Regimes, wo nun gleich drei Ressort- bzw. Kanzleichefs sich bei der Organisation der Staatsgeschäfte um den direkten Zugang zum „Führer“ stritten: Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel für die Wehrmacht, Reichsminister Hans Heinrich Lammers für den staatlichen Bereich und Martin Bormann als Chef der Parteikanzlei. Ihre Macht bestand darin, daß sie entschieden, was dem „Führer“ vorgetragen wurde und wer den Zugang zu ihm bekam. Schließlich wurde Bormann zum mächtigen Mann im Hintergrund, der sorgsam ein Netz von Freundschaften und Bündnisbeziehungen aufgebaut hatte, in dem er sich unentbehrlich machte. Einer seiner bevorzugten Partner war Goebbels, der über den Propagandabereich hinaus sich immer stärker in die Innenpolitik einmischte, bis er am 25. Juli 1944 zum Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz ernannt wurde, ohne daß er in dieser Funktion noch mehr als große Gesten und viel Rhetorik produzierte. Währenddessen stieg Albert Speer zum mächtigen Rüstungsminister des Dritten Reichs auf, dessen Ämterhäufung und Leistungen für die Kriegswirtschaft ihn 1943 zum möglichen Kronprinzen Hitlers werden ließen. Als Nachfolger des im Februar 1942 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Fritz Todt konnte er, gestützt auf das persönliche Vertrauen Hitlers, die Organisation der Kriegswirtschaft betreiben. Er baute eine funktionierende Lenkungsbehörde auf, der ein System von kollegial organisierten Rüstungskommissionen zugeordnet war. Durch den Zugriff auf die kriegswirtschaftlichen Kompetenzen des Reichswirtschaftsministeriums und der Marine- bzw. der Luftrüstung (der bisherigen Domäne Görings) baute er seinen Amtsbereich quer zu den bestehenden Institutionen zu einem Superministerium mit dem Titel „Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion“ aus. Nach mehrjährigen zähen Machtkämpfen war so die katastrophale Zersplitterung der Zuständigkeiten für die Wehrmachtsrüstung beendet und Speer konnte eine für den „Führerstaat“ ungewöhnliche und lang anhaltende Durchsetzungskraft entwickeln. Doch trotz aller Erfolge bei der Rationalisierung und Steigerung der Rüstungsproduktion, die im Sommer 1944 ihren Höhepunkt erreichte, fand Speers umfassende Lenkungskompetenz ihre Grenzen doch wieder in dem Gestrüpp rivalisierender Machtgruppen der nationalsozialistischen Reichs- und Gauleiter, die sich Speers Vollmachten mehr und mehr widersetzten. Daß dies nicht zu dem drohenden politischen Absturz Speers führte, lag ausschließlich an einer Erneuerung der Legitimation Speers durch Hitler. Quelle: "Informationen zur politischen Bildung", Copyright Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de
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